Regierungskrise nach Geiselrettung

von Redaktion

Wieder vereint: Das Schicksal der Studentin Noa Argamani hatte weltweit große Anteilnahme ausgelöst. Ihr Vater musste acht Monate um sie zittern. © IDF Spokesperson‘s unit via GPO/dpa

TelAviv/Gaza – Wegen Meinungsverschiedenheiten über die Zukunft des Gazastreifens verlässt Minister Benny Gantz die in Israel nach dem Terroranschlag der Hamas vom 7. Oktober gebildete Notstandsregierung. Gantz verkündete dies am Sonntagabend vor Journalisten. „Wir verlassen heute die Notstandsregierung, mit schwerem, aber von ganzem Herzen“, sagte er.

Der 65-jährige Ex-Verteidigungsminister warf Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und dessen Vertrauten „Zögerlichkeit und Zeitschinderei aus politischen Erwägungen“ vor. Gantz forderte, Israel müsse alles unternehmen, um das von US-Präsident Joe Biden unterstützte Abkommen für eine Feuerpause und die Befreiung der Geiseln im Austausch gegen palästinensische Häftlinge umzusetzen. Israel müsse sich auf jahrelange Kämpfe einstellen, warnte er. Gantz entschuldigte sich bei den Angehörigen der Geiseln. Es sei bisher nicht gelungen, die Entführten zurückzuholen – auch er trage einen Teil der Verantwortung dafür.

Außerdem sprach Gantz sich für „ein regionales Bündnis gegen den Iran mit den USA und der westlichen Welt“ aus. Er forderte von Netanjahu, einen Termin für Neuwahlen festzulegen.

Netanjahu schrieb als Reaktion zu Gantz‘ Erklärung auf der Plattform X: „Israel befindet sich an mehreren Fronten in einem existenziellen Krieg. Benny, das ist nicht die richtige Zeit, den Kampf aufzugeben.“

Gantz hatte seinen Kabinettsaustritt bereits angedroht, sollte von der Regierung Netanjahu kein Plan für eine Nachkriegsordnung im Gazastreifen erarbeitet werden. Das vor einigen Wochen an Netanjahu gestellte Ultimatum in der Sache war am Samstag ausgelaufen. Wegen der dramatischen Befreiung von vier Geiseln aus dem Gazastreifen am gleichen Tag verschob er jedoch eine geplante Pressekonferenz in letzter Minute.

Israels Führung wird er mit dem Schritt aber nicht stürzen. Denn Netanjahus rechtsreligiöses Kabinett verfügt auch ohne Gantz‘ Partei weiterhin über eine Mehrheit von 64 von 120 Sitzen im Parlament. Der ehemalige General Gantz war nach dem Angriff der Hamas und anderer Terrorgruppen als Minister ohne Ressort in Netanjahus Regierung eingetreten, um ein Zeichen der Geschlossenheit setzen.

Am Vortag hatten Spezialeinheiten vier Geiseln aus ihrer acht Monate langen Gefangenschaft im Gazastreifen gerettet. Drei Männer und eine Frau wurden am Samstag in einem Überraschungseinsatz aus zwei Gebäuden in dem dicht besiedelten Flüchtlingsviertel Nuseirat befreit.

Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde vom Sonntag wurden bei dem Einsatz 274 Palästinenser getötet und rund 700 weitere verletzt. Israels Armee-Sprecher Daniel Hagari hatte am Samstagabend von weniger als 100 Todesopfern gesprochen.

Die Palästinenser warfen Israel ein Massaker an Zivilisten vor. In Sozialen Medien kursierten Bilder von blutüberströmten Verletzten und Toten, unter ihnen auch Kinder. Zu dem Zeitpunkt des Einsatzes waren den Angaben zufolge viele Menschen auf einem nahegelegenen Markt unterwegs.

Nach Darstellung der israelischen Armee geriet das Rettungsteam unter heftigen Beschuss bewaffneter Palästinenser und lieferte sich mit ihnen schwere Gefechte. Drei männliche Geiseln wurden demnach in einem Haus festgehalten, die Frau in rund 200 Meter Entfernung in einem anderen Haus. Um die Bewacher der Hamas zu überraschen, drangen die Truppen um 11.00 Uhr Ortszeit zeitgleich in beide Gebäude ein.

Zu den vier Befreiten, die alle beim Nova-Musikfestival entführt worden waren, gehört die 26-jährige Noa Argamani. Ihr Schicksal hatte weltweit große Anteilnahme ausgelöst, Videos ihrer Verschleppung kursieren seit Monaten in Sozialen Medien. Ihr Freund befindet sich noch immer in der Gewalt der Hamas. Ihre aus China stammende Mutter hat Krebs im Endstadium. Ihr innigster Wunsch, ihre Tochter noch einmal zu sehen, wurde ihr nach deren Freilassung erfüllt.

Neben zwei Männern, die als Wachleute auf dem Festival eingesetzt waren, gehört auch der 22-jährige Almog Meir Jan zu den Geretteten. Tragisch ist dagegen, dass sein Vater die Rückkehr seines Sohnes nicht mehr miterleben durfte. Der 57-Jährige starb nach Medienberichten nur Stunden zuvor. „Mein Bruder ist vor Gram gestorben und hat seinen Sohn nicht zurückkehren sehen“, sagte seine Schwester.

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