Netanjahu allein mit Ultrarechten

von Redaktion

Seit acht Monaten hat das Kriegskabinett mit Minister Gantz als Libero Israels Geschicke gelenkt. Nun wirft der gemäßigte Politiker hin und geht zurück in die Opposition. Wie geht es jetzt weiter?

Netanjahu-Rivale Gantz verlässt das Kriegskabinett. © afp

Tel Aviv/Gaza – Die dramatische Befreiung von vier Geiseln aus dem Gazastreifen hat dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu einen seltenen PR-Erfolg beschert. Doch der Aufwind war nur von kurzer Dauer. Mit dem Rücktritt von Minister Benny Gantz und dem Ende der nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober gebildeten Notstandsregierung steigt der Druck auf den 74-jährigen Regierungschef. Mehr als acht Monate nach Beginn des Gaza-Kriegs erscheint der von ihm propagierte „totale Sieg“ über die islamistische Terrororganisation Hamas in weiter Ferne, während Israel international immer mehr zum Paria-Staat zu werden droht.

Gantz und Ex-Generalstabschef Gadi Eisenkot, der als Beobachter mit im Kriegskabinett saß, hätten Netanjahu als bequemes Feigenblatt gedient, gerade in den Kontakten mit den USA und Europa, schrieb ein Kommentator der linksliberalen israelischen Zeitung „Haaretz“ am Montag. „Wenn ranghohe US-Repräsentanten nach Israel kamen und sie trafen, sind sie mit dem Gefühl gegangen, dass die Lage nicht komplett verloren ist.“ Gantz hatte der am weitesten rechtsstehenden Regierung in Israels Geschichte als „verantwortlicher Erwachsener“ zu einem etwas moderateren Ansehen verholfen.

Nun kehrt Netanjahus rechtsreligiöses Kabinett wieder zu seiner vorherigen Größe von 64 der 120 Abgeordneten im Parlament zurück. Ohne gemäßigtes Gegengewicht innerhalb der Regierung können Netanjahus rechtsextreme Partner noch stärker und ungehindert auftrumpfen. Polizeiminister Itamar Ben-Gvir forderte direkt nach Gantz‘ Rücktritt, mit in das Kriegskabinett aufgenommen zu werden – das gegenwärtig wichtigste Entscheidungsgremium in Israel. Es wird jedoch erwartet, dass Netanjahu das Kriegskabinett auflöst und nur das sogenannte Sicherheitskabinett belässt.

Ben-Gvir und der rechtsextreme Finanzminister Bezalel Smotrich verfolgen höchst umstrittene Ziele wie etwa eine Wiederbesiedlung des Gazastreifens. Sie haben Netanjahu mit dem Platzen der Koalition gedroht, sollte Israel das von US-Präsident Joe Biden unterstützte Abkommen für eine Feuerpause und die Befreiung der Geiseln im Austausch gegen palästinensische Häftlinge umsetzen. Das politische Überleben Netanjahus, gegen den seit Jahren ein Korruptionsprozess läuft, hängt aber von diesen Partnern ab, die Analysten regelmäßig als politische „Brandstifter“ beschreiben.

US-Außenminister Antony Blinken bemüht sich bei einem neuen Besuch in der Region weiter um eine Waffenruhe im Gaza-Krieg und die Freilassung der 120 verbliebenen Geiseln. Der israelische Rundfunk berichtete, die US-Regierung habe die Sorge, die Befreiungsaktion am Samstag, bei der nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde weit über 200 Palästinenser getötet wurden, könnte die Bemühungen um eine Waffenruhe weiter erschweren.

Außerdem mehren sich die Warnungen vor einer Explosion der angespannten Lage im Westjordanland, wo es fast täglich Berichte von Anschlagsversuchen von Palästinensern, Toten bei Razzien des israelischen Militärs und Siedlergewalt gibt. Am gefährlichsten ist aber wohl der Konflikt mit der libanesischen Schiitenmiliz Hisbollah, der stetig weiter eskaliert. Immer größer werden die Zerstörungen durch gegenseitigen Beschuss auf beiden Seiten der Grenze. Ein „echter“ Krieg mit der Hisbollah könnte alles, was seit dem 7. Oktober passiert ist, noch weit in den Schatten stellen. Die libanesische Miliz verfügt über ein riesiges Raketenarsenal und gilt als deutlich schlagkräftiger als die Hamas.

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