Die Europawahl mit guten Ergebnissen im Osten ist vorbei, da legt Sahra Wagenknecht alle Karten auf den Tisch: Im Bundestag blieben sie und ihre Abgeordneten der Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ebenso fern wie die AfD. Dass die angeblichen Patrioten der AfD ein heimlicher Wladimir-Putin-Fanclub sind, kann nach den Enthüllungen der vergangenen Monate eigentlich niemanden mehr überraschen (Respekt an die vier Abgeordneten, die gestern der eigenen Fraktion die Stirn boten). Doch dass sich die „Pazifistin“ Wagenknecht nun an ihre Seite stellt, lässt tief blicken.
Als Begründung führt Wagenknecht an, der ukrainische Präsident befördere „eine hochgefährliche Eskalationsspirale“. Sie verlangt also von einem Überfallenen, sich in sein Schicksal zu ergeben und die Repressionen eines Unrechtsregimes hinzunehmen, das Kritiker nicht nur in der Heimat gnadenlos verfolgt. Schlimmer noch: Sie erklärt das Opfer zum Täter. Um präzise zu sein: Selbstverständlich kann man über deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine streiten. Natürlich darf man auch die Politik Kiews kritisieren. Und auch die Frage nach Friedensgesprächen lässt sich nicht ewig vom Tisch wischen. Aber all das vertritt man in einer Demokratie mit der Kraft der Argumente. Ein gewähltes Staatsoberhaupt im Bundestag zu boykottieren, verletzt schlicht die Spielregeln des Parlamentarismus.
Bemerkenswert ist auch der Zeitpunkt: Noch am Vormittag hatte sich Wagenknecht furchtbar über den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz aufgeregt, der Koalitionen mit ihrer Partei ausgeschlossen hatte. Nachmittags lieferte sie ihm dann beste Argumente für seine Position. Mike.Schier@ovb.net