Der Staatsgast im Parlament: Wolodymyr Selenskyj hält seine Rede im Bundestag. Leer: die AfD-Reihen. © Christoph Soeder/dpa
Berlin – Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat Deutschland für die Unterstützung im Abwehrkampf gegen die russischen Angreifer gedankt und eindringlich um anhaltenden Beistand gebeten. „Es ist unser gemeinsames Interesse, dass Putin diesen Krieg persönlich verliert“, sagte er am Dienstag in einer Rede im Bundestag. Der russische Präsident stehe „alleine gegen uns alle. Und eben deshalb müssen wir alle gemeinsam Russland dazu zwingen, sich zu ändern.“
Selenskyj betonte aber auch, dass er nicht nur auf das Militär setzen will, um zu Frieden in seinem Land zu kommen. Mit Blick auf die Friedenskonferenz in der Schweiz am nächsten Wochenende sagte er: „Wir wollen der Diplomatie eine Chance geben und haben etwa 100 Staaten versammelt. Die Ukraine hat niemals nur auf die Stärke der Waffen gesetzt.“
Russland ist zur Konferenz allerdings nicht eingeladen, China hat abgesagt. Scholz zeigte sich nach einem Treffen mit Selenskyj trotzdem optimistisch, dass es beim Treffen Fortschritte geben kann. „Vielleicht kann ein Weg aufgezeigt werden, wie ein Einstieg in einen Prozess gelingen könnte, bei dem eines Tages auch Russland mit am Tisch sitzt.“
Selenskyj hatte bereits am 17. März 2022, drei Wochen nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, zu den Bundestagsabgeordneten gesprochen. Damals wurde er aber per Video von Kiew aus in den Plenarsaal zugeschaltet und flehte den Bundeskanzler geradezu um mehr militärische Unterstützung an: „Lieber Herr Bundeskanzler Scholz, reißen Sie diese Mauer nieder. Geben Sie Deutschland die Führungsrolle, die Deutschland verdient.“
Inzwischen hat Deutschland unter anderem Kampfpanzer, Luftabwehrsysteme und weitreichende Artillerie geliefert und ist der zweitwichtigste Unterstützer der Ukraine nach den USA, was die militärische und finanzielle Hilfe angeht. Dafür bedankte sich Selenskyj ausdrücklich. Besonders bedankte er sich bei Kanzler Scholz für die zuletzt zugesagten Patriot-Abwehrsysteme, die Tausende von Leben retten würden. Forderungen nach weiteren Waffensystemen wie etwa nach Taurus-Marschflugkörpern mied er.
Im Bundestag wurde er mit langanhaltendem Beifall begrüßt. Er kam an der Seite von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in den Plenarsaal. Vor dem Rednerpult, auf den Plätzen der Parlamentsstenografen, lagen drei große Blumengestecke in den ukrainischen Farben blau und gelb.
Der Krieg müsse so beendet werden, dass kein Zweifel bestehe, wer gesiegt habe, sagte Selenskyj, der immer wieder von Beifall unterbrochen wurde. Russland müsse für die Entfesselung des Krieges die volle Verantwortung übernehmen. „Russland muss für den ganzen Schaden zahlen, der durch diese Aggression verursacht wurde.“ Am Ende applaudierten ihm die Abgeordneten minutenlang stehend.
Die Parlamentarier des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) und die AfD bis auf vier Abgeordnete boykottierten die Rede allerdings. „Wir lehnen es ab, einen Redner im Tarnanzug anzuhören“, teilten die Fraktionschefs Alice Weidel und Tino Chrupalla mit. „Die Bundesregierung sollte ihm keine Bühne für Wiederaufbaubettelei geben.“ Vom BSW hieß es: „Selenskyj trägt leider aktuell dazu bei, eine hochgefährliche Eskalationsspirale zu befördern, und nimmt dabei das Risiko eines atomaren Konflikts mit verheerenden Konsequenzen für ganz Europa in Kauf.“ Von anderen Parteien kam scharfe Kritik an AfD und BSW. „Wahrscheinlich hat der Kreml das Fernbleiben angeordnet“, sagte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese. „Ich habe selten eine solche Respektlosigkeit erlebt.“
Eigentlicher Anlass des Selenskyj-Besuchs ist eine internationale Wiederaufbaukonferenz mit 2000 Teilnehmern aus 60 Ländern, die er zusammen mit Scholz eröffnete. Beide traten dabei gemeinsam für eine weitere Stärkung der Luftverteidigung zum Schutz vor russischen Angriffen ein. Scholz rief die Verbündeten auf, eine entsprechende deutsche Initiative „mit allem, was möglich ist“, zu unterstützen. „Denn: Der beste Wiederaufbau ist der, der gar nicht stattfinden muss.“