„Der Eigenanteil an der Pflege ist zu hoch“

von Redaktion

DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt über den demografischen Wandel und die prekäre Situation in den Heimen

Der Bedarf steigt: Um die Jahrtausendwende gab es rund zwei Millionen Pflegebedürftige, heute sind es fünf Millionen. © kna

In der Pflege läuft vieles schief. Gerda Hasselfeldt, Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), fordert im Interview bessere Arbeitsbedingungen für Pfleger und kritisiert die Bundesländer, die die Kosten für Menschen nach oben treiben.

Frau Hasselfeldt, die Pflegebeiträge sollen steigen, da die Zahlungsfähigkeit der Pflegekasse sonst in Gefahr ist. Laufen wir sehenden Auges in eine Katastrophe?

Die Situation ist bei den Einrichtungen äußerst besorgniserregend, und zwar aus zwei Gründen. Wir haben auf der einen Seite einen sehr starken Bedarf an Arbeitskräften – der derzeit schon nicht gedeckt ist und künftig zunimmt. Und auf der anderen Seite haben wir eine unterfinanzierte Pflegeversicherung, die beispielsweise die notwendigen Lohnsteigerungen nicht ausreichend gegenfinanziert. Deshalb müssen viele stationäre wie ambulante Einrichtungen Dienste reduzieren und Abteilungen oder teilweise sogar Häuser schließen, sodass die Versorgungssicherheit nicht mehr flächendeckend gewährleistet werden kann, wenn nicht gegengesteuert wird.

Wie sieht es bei den zu Pflegenden aus?

Es gibt viele Pflegebedürftige etwa im ambulanten Bereich, die Leistungen ablehnen, weil sie dafür zu viel selbst zahlen müssten. Das hat zur Konsequenz, dass Pflegebedürftige zunehmend unterversorgt sind. Im stationären Bereich haben wir einen Eigenanteil, der im Durchschnitt bei 2500 bis 2700 Euro pro Monat liegt. Das ist zu viel und da muss sich was bewegen.

Zum Beispiel?

Der hohe Eigenanteil ergibt sich unter anderem, weil viele Bundesländer ihren gesetzlichen Verpflichtungen für Investitionsausgaben an die Pflegeeinrichtungen nicht nachkommen. Die im Gesetz beschriebene Pflicht dazu ist leider schwammig formuliert, weswegen viele Länder nicht genug zahlen und dadurch die Kosten für die pflegebedürftigen Menschen steigen. Zudem müssen Leistungen aus der Pflegeversicherung bezahlt werden, die aus anderen Töpfen finanziert werden müssten. Beispielsweise zahlt die Pflegeversicherung die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige. Wir fordern eine grundlegende Reform und wollen die Finanzierung der Pflegeversicherung mit einem Sockel-Spitze-Tausch auf eine solide und planungssichere Basis stellen.

Was heißt das?

Pflegebedürftige sollen künftig je nach Stufe einen festen Betrag für die Pflege zahlen. Was darüber hinausgeht, kommt aus der Pflegekasse. Momentan ist es umgekehrt und der Eigenanteil für Menschen steigt Jahr für Jahr an. Aktuell sind die Kosten für eine mögliche Pflegebedürftigkeit entsprechend nicht kalkulierbar. Auch das würde sich durch einen Tausch ändern und somit verbessern.

Gesundheitsminister Lauterbach gab sich sehr überrascht, wie die Zahl der Pflegebedürftigen steigt.

Man muss der Situation ins Auge sehen. Um die Jahrtausendwende hatten wir rund zwei Millionen Pflegebedürftige. Heute sind es mehr als fünf Millionen. Das hängt insbesondere mit der demografischen Entwicklung zusammen. Daher steigt die Zahl seit Jahren.

Steigt auch die Zahl der Pfleger?

Ja, aber bei Weitem nicht im selben Maß und aktuell stagniert die Zahl sogar eher. Wenn wir in die Zukunft sehen, wird das Problem noch größer. Von den heutigen Pflegekräften gehen viele bald in Rente und es gibt nicht genug neu ausgebildete Kräfte. Wir haben schon jetzt eine prekäre Situation, die noch angespannter wird.

Als Deutsches Rotes Kreuz wollen Sie deshalb den Pflegeberuf attraktiver machen.

Der Pflegeberuf ist sehr anspruchsvoll und erfordert eine hohe Qualifikation sowie Weiterbildungen. Pfleger sind nicht die Hilfskräfte der Ärzte, sondern haben eine eigene Profession und viel Verantwortung. Das muss sich auch in der Praxis widerspiegeln, in Wertschätzung zum einen und Aufstiegschancen zum anderen.

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