Europa sucht seine neuen Chefs

von Redaktion

Die estnische Regierungschefin Kaja Kallas ist die einzige Osteuropäerin im großen EU-Personalpoker. Wird sie eine Art Außenministerin? © afp

Brüssel – Gut eine Woche nach der Europawahl beraten die Staats- und Regierungschefs der EU über das Spitzenpersonal. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erhoffte sich nach dem Wahlerfolg des Mitte-Rechts-Bündnisses EVP von dem Sondergipfel am Montagabend grünes Licht für eine zweite Amtszeit.

Kommissionspräsidentin: Die CDU-Politikerin steht seit fast fünf Jahren an der Spitze der Kommission. In Brüssel gilt es als nahezu sicher, dass die Staats- und Regierungschefs die 65-Jährige für eine zweite Amtszeit vorschlagen. Denn die Europäische Volkspartei (EVP) um CDU und CSU ist mit ihr als Spitzenkandidatin mit Abstand stärkste Kraft geworden. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte am Wochenende, es spreche „alles dafür“, dass „es eine zweite Amtszeit geben kann“. Von der Leyen braucht eine qualifizierte Mehrheit von mindestens 15 Staats- und Regierungschefs, die 65 Prozent der europäischen Bevölkerung vertreten. Anschließend benötigt sie im Europaparlament eine absolute Mehrheit von 361 der 720 Abgeordneten. Mit Sozialdemokraten und Liberalen?

Die EU-Kommission mit mehr als 30 000 Beamten ist die mächtigste Behörde Europas. Sie schlägt Gesetze vor, die von Mitgliedstaaten und Europaparlament beschlossen werden. Zudem wacht sie über die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der Haushaltsregeln in den Mitgliedsländern.

Ratspräsident: Amtsinhaber ist der Belgier Charles Michel, der nach fünf Jahren ausscheidet. Anspruch auf den Posten erheben die Sozialdemokraten als zweitstärkste Gruppe im Europaparlament. Als aussichtsreichster Kandidat gilt der frühere portugiesische Regierungschef António Costa. Er war im November wegen Korruptionsvorwürfen zurückgetreten, die der 62-Jährige zurückweist. Der Ratspräsident leitet die Gipfel der Staats- und Regierungschefs. Bei Konflikten soll er vermitteln.

EU-Außenbeauftragter: Der Spanier Josep Borrell scheidet mit 77 aus. Als Nachfolgerin ist die estnische Regierungschefin Kaja Kallas im Gespräch. Die fast 47-jährige Liberale hat als einzige Osteuropäerin im Personaltableau gute Chancen. Sie ist in der EU eine der größten Unterstützerinnen der Ukraine. Einen echten Außenminister hat die EU nicht, weil die Mitgliedsländer Diplomatie als nationale Aufgabe sehen. Stattdessen gibt es seit rund 15 Jahren den „Hohen Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik“. Er leitet den Europäischen Auswärtigen Dienst mit rund 4500 Mitarbeitern und gehört der EU-Kommission an.

Parlamentspräsidentin: Seit Januar 2022 hat Roberta Metsola aus Malta den Posten inne. Nach Brüsseler Angaben hat die Christdemokratin beste Chancen auf weitere zweieinhalb Jahre. In der zweiten Hälfte der Legislatur könnte ein Sozialdemokrat zum Zuge kommen. Die deutsche SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley bestätigt keine Ambitionen, sie hat eine Wahlschlappe ihrer Partei in den Knochen. Das Europaparlament sitzt in Straßburg und Brüssel. Es hat ein Mitbestimmungsrecht bei der Gesetzgebung. Jährlich billigt das Parlament den zuletzt rund 190 Milliarden Euro schweren EU-Haushalt. Ausgenommen von der Mitentscheidung: Außen- und die Steuerpolitik.

Nato-Generalsekretär: Dieser Posten wird zwar nicht von der EU vergeben, die Staats- und Regierungschefs könnten ihn aber mit berücksichtigen. Denn für die Nachfolge von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg bewerben sich zwei Europäer: der abgewählte niederländische Regierungschef Mark Rutte und der rumänische Präsident Klaus Iohannis. Damit der Liberale Iohannis seine Kampfkandidatur gegen den Favoriten Rutte aufgibt, könnte ihm ein einflussreicher EU-Posten angeboten werden – etwa doch der des Außenbeauftragten.

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