Dauerbeschuss: Zwischen Israel und dem Libanon, hier in Dschanta, kommt es seit Monaten zu Angriffen. © dpa/Naamani
Tel Aviv/Beirut – Seit mehr als acht Monaten beschießen Israel und die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah sich ständig. Zuletzt nahm die Intensität der Gefechte deutlich zu. Die Sorge vor einem noch größeren Waffengang zwischen Israel und der Hisbollah ist groß. Es wird befürchtet, dass ein offener Krieg sich zu einem regionalen Konflikt ausweiten könnte, in den auch die USA als wichtigster Verbündeter Israels hereingezogen würden.
Experten gehen davon aus, dass die Hisbollah deutlich stärker ist als während des letzten großen Kriegs mit Israel 2006. Die Miliz hat jahrelange Kampferfahrung im Syrien-Krieg gesammelt. Mit iranischer Unterstützung kämpfte sie an der Seite der Truppen des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad. Ähnlich wie die Hamas im Gazastreifen hat die Hisbollah im Libanon ein unterirdisches Tunnelsystem aufgebaut, aus dem die Milizionäre die Kämpfe führen könnten. Die Hisbollah verfügt über ein Arsenal von rund 150 000 Raketen. Im Kriegsfall könnte sie täglich tausende von Raketen auf israelische Städte feuern und wichtige Infrastruktur ausschalten. Ein Raketenhagel könnte Israels Raketenabwehr überfordern.
„In einem schonungslos geführten Krieg wird es mehr Zerstörung an der Heimatfront und tiefer in Israel geben“, sagte der israelische Brigadegeneral Schlomo Bron der „New York Times“. Die Hisbollah könnte mehr oder weniger jedes Ziel in Israel treffen, darunter auch zivile Einrichtungen, „so wie wir den Süden Beiruts angreifen würden“, sagte er mit Blick auf Viertel im Süden der libanesischen Hauptstadt, die als Hisbollah-Hochburg bekannt sind.
Für den bereits wirtschaftlich und politisch gebeutelten Libanon hätte ein solcher Krieg fatale Folgen. Man werde das Nachbarland im Fall eines Kriegs „in die Steinzeit zurückversetzen“, hatte der israelische Verteidigungsminister Joav Galant im vergangenen Jahr gewarnt.
Riad Kahwaji, Direktor des Institute for Near East and Gulf Military Analysis, schätzt das Kräfteverhältnis zugunsten Israels ein. „Egal, wie viel Schaden die Hisbollah in Israel anrichtet, die Israelis werden zehn- bis hundertmal so viel anrichten“, sagt er. Die Hisbollah dränge nicht auf einen Krieg, sondern wolle Israel abschrecken. Bisher habe sie ihre Angriffe in Grenzen gehalten.
Hört man dem Generalsekretär der Hisbollah bei seinen stundenlangen Reden zu, so könnte man den Eindruck bekommen, der Konflikt sei längst entschieden – zugunsten seiner Miliz. Hassan Nasrallah wird nicht müde, den Erfolg der Hisbollah und die „Erschöpfung des Feindes“ zu betonen. „Wenn sie dem Libanon einen Krieg aufzwingen, wird der Widerstand ohne Einschränkungen, Regeln und Grenzen zurückschlagen“, warnte er in seiner jüngsten Ansprache.
Nasrallah feiert seine „Libanon-Front“ für ihren Erfolg, insbesondere auch weil sie seiner Darstellung nach zu wirtschaftlichen und touristischen Verlusten in Israel geführt haben soll. Außer Acht lässt er dabei die Situation im Libanon selbst. Denn der von Krisen und Korruption zerfressene Mittelmeerstaat ist kaum in der Lage, einen Krieg zu führen. Schon jetzt steckt er in der schwersten Wirtschaftskrise seiner Geschichte. Zudem gibt es weder einen Präsidenten noch eine voll handlungsfähige Regierung. Kahwaji sagt, ein größerer Krieg würde die Destabilisierung weiter vorantreiben.
Israel will erreichen, dass sich die Milizionäre der Hisbollah, die sein Grenzgebiet bedrohen, wieder in das Gebiet nördlich des Litani-Flusses 30 Kilometer von der Grenze entfernt zurückziehen. Eine UN-Resolution schrieb nach dem Krieg 2006 vor, dass Hisbollah-Kämpfer sich nicht südlich dieser Linie aufhalten dürfen. Diese sind jedoch über die Jahre allmählich zurückgekehrt, während UN-Friedenstruppen ohnmächtig zuschauten.
S. LEMEL/A. RAJAB/A. BÄNSCH