Eine höfliche Armlänge Abstand: (v.l.) Kanzler Olaf Scholz mit den CDU-Ministerpräsidenten Daniel Günther, Michael Kretschmer und Rainer Haseloff. © Ralf Hirschberger/afp
Berlin – Sie lassen sich Zeit, viel Zeit. Als der Kanzler und die Ministerpräsidenten Boris Rhein und Stephan Weil um kurz nach 22 Uhr vor die Kameras treten, die Gesichter so müde wie die Stimmen, liegen stundenlange Beratungen hinter ihnen. Die schiere Fülle an Themen sei Schuld, sagt Olaf Scholz und legt los: Deutschlandpakt, Energie, Hochwasser. Erst ganz am Schluss kommt er auf das zu sprechen, was diese Ministerpräsidentenkonferenz so brisant macht: Migration – und die Frage, ob es künftig Asylverfahren in Drittstaaten geben wird.
Scholz sagt, was Scholz eben so sagt: „Wir haben fest vereinbart, dass wir den Prozess fortführen.“ Man sei da auf einem sehr guten Weg. Es ist Hessens Regierungschef Rhein, der die Sache kurz darauf zumindest etwas konkreter macht: „Wir werden nicht bei Gutachten stehen bleiben, was ich sehr begrüße.“ Jetzt gehe es darum konkrete Modelle für Asylverfahren außerhalb der EU zu entwickeln. Rhein spricht von einem „Meilenstein“.
Seit Monaten wird über darüber debattiert, Asylverfahren künftig auch in Ländern jenseits der EU durchzuführen. Der Union gilt vor allem Italien als Vorbild, das Bootsflüchtlinge künftig nach Albanien bringen will, um dort Asylverfahren durchführen zu lassen. In der Ampel, vor allem bei Grünen und in teilen der SPD, löst das heftigen Widerstand aus.
Das ist auch gestern zu spüren. Es sind die Unions-geführten Länder, die darauf hinwirken, vor dem Treffen mit Scholz einen gemeinsamen Beschluss zum Thema zu fassen und so Druck auf die Ampel auszuüben. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte am Nachmittag noch gesagt, sie halte solche Modelle für ein „Bausteinchen“, aber keinen „Gamechanger“. Auch Weil, der am Abend in der Dreier-Runde sitzt, hat so seine Zweifel. „Dass das eine Lösung unserer strukturellen Probleme sein wird, das glaube ich nicht.“
Andere gehen in ihrer Skepsis noch weiter: Die rot-rot-grünen Regierungen Thüringens und Bremens zeigten sich in einer Protokollerklärung unzufrieden mit dem Länder-Beschluss. Die gemeinsame europäische Asylpolitik müsse die Rechtsstaatlichkeit der Verfahren und Humanität sicherstellen, heißt es darin. „Die Verlagerung von Asylverfahren in Transit- und Drittstaaten entspricht diesen Anforderungen nicht.“ Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sprach sogar von einer „Scheinlösung“.
Wie sehr das Thema Migration inzwischen auch unter den Ländern polarisiert, zeigt eine andere Protokollerklärung, abgegeben von den unionsregierten Freistaaten Bayern und Sachsen. Ihnen gehen die Beschlüsse nicht weit genug. Sie legen deshalb einen Fünf-Punkte-Plan vor, der unter anderem die Forderung nach einem „Sofort-Arrest“ für ausreisepflichtige Straftäter und Gefährder enthält, die nicht abgeschoben werden können. Sie sollen demnach so lange in Haft bleiben, bis sie freiwillig ausreisen.
Die Union dringt seit Langem auf eine Regelung, nach der Migranten auf ihrem Weg nach Europa in Transitstaaten Asylverfahren durchlaufen oder nach Ankunft in Deutschland in Drittstaaten jenseits der EU geschickt werden. In dem Beschluss wird die Bundesregierung deshalb nicht nur aufgefordert, „konkrete Modelle zur Durchführung von Asylverfahren in Transit- und Drittstaaten zu entwickeln“ – sie soll dabei „auch dafür erforderliche Änderungen in der EU-Regulierung sowie im nationalen Asylrecht“ angehen. Übersetzt heißt das: keine Ausreden mehr. Scholz kündigt immerhin an, dass Die Regierung beim nächsten Bund-Länder-Treffen berichten will.
„Es gibt bei den Bürgern eine klare Erwartungshaltung, dass wir in den entscheidenden Fragen liefern“, sagt Rhein – und meint vor allem die Migration. Die Ergebnisse der Europawahl seien „alarmierend“ gewesen.
Immerhin in einem Punkt gibt es konkrete Ergebnisse: Bei der Bezahlkarte für Asylbewerber einigten sich die Länder darauf, die Auszahlung von Bargeld auf 50 Euro pro Monat zu begrenzen. Die Bezahlkarte soll laut Rhein ab Sommer starten. 14 von 16 Ländern hatten sich auf ein gemeinsames Vergabeverfahren geeinigt. Bayern und Mecklenburg-Vorpommern gehen eigene Wege.