Der Kreml als Brandstifter?

von Redaktion

Dichter, schwarzer Rauch: Der Brand bei der Firma Diehl verursachte einen Millionenschaden. Einem Bericht zufolge steckt der Kreml dahinter. © IMAGO/Marius Schwarz

München – Noch Tage später lag er in der Luft, ein beißender, chemischer Gestank. In Berlin fragte man sich besorgt, welche Giftstoffe beim Brand in einer Halle der Firma Diehl wohl freigesetzt wurden. Schließlich zog an jenem 3. Mai, einem Freitag, eine dichte, schwarze Rauchwolke durch den Stadtteil Lichterfelde, die Feuerwehr warnte vor „extremer Gefahr“ durch Gase – in der Nachbarschaft regnete es sogar mysteriöse schwarze Flocken.

Die Gift-Sorge war eine unter vielen, gerade macht sich eine weitere breit: Nachdem die Ermittler lange von einem Unfall ausgingen, keimt der Verdacht, dass russische Saboteure den Großbrand verursacht haben. Das berichtet das „Wall Street Journal“ unter Berufung auf Sicherheitskreise. Ziel sei gewesen, die „Lieferung wichtiger Waffen und Munition an die Ukraine zu stören“. Zuvor hatte die „Bild“ berichtet, dass die Bundesregierung einem solchen Verdacht nachgehe. Tippgeber war demnach ein ausländischer Geheimdienst.

Um die Brandursache gab es von Anfang an Spekulationen, weil der Konzern Diehl mit Hauptsitz in Nürnberg unter anderem auch Rüstungsgüter herstellt, die in der Ukraine eingesetzt werden. Dazu zählt das hocheffiziente Luftabwehrsystem Iris-T, mit dem Kiew vor russischen Angriffen geschützt wird. Am Berliner Standort werden nur Teile für die Automobilindustrie gefertigt.

Die US-Zeitung schreibt nun unter Berufung auf einen Beamten aus dem Sicherheitsapparat, dass nichts als Ursache ausgeschlossen werden könne, auch Sabotage nicht. Das Feuer brach offenbar in einem Bereich der Halle aus, zu der nur wenige Personen Zugang hatten. Alle Videoaufzeichnungen sollen zerstört worden sein. Dass die Ermittler bislang auf einer anderen Spur waren, liegt laut dem „WSJ“ auch daran, dass elektronische Hinweise auf russische Hintermänner vor deutschen Gerichten nicht zugelassen wurden.

Der Konzern selbst hatte noch am Freitag mit Verweis auf ein Versicherungs-Gutachten erklärt, dass ein technischer Defekt Ursache des Brands war. „In der reinen Theorie“, sagte ein Diehl-Sprecher, habe aber auch Sabotage zu dem Defekt führen können.

Das „WSJ“ lässt indes wenig Zweifel. Der Brandanschlag sei „das Werk erfahrener Profis“ gewesen, heißt es dort. Unter Fachleuten ist man geteilter Meinung. Ein Experte, der ungenannt bleiben möchte, äußerte gegenüber unserer Zeitung Zweifel an einer russischen Aktion. Erich Schmidt-Eenboom hält sie hingegen für „ausgesprochen plausibel“. „Wir erleben gerade eine ganze Serie solcher Nadelstiche, und zwar europaweit“, sagte der Geheimdienstexperte unserer Zeitung. Sie seien das Werk des russischen Militärnachrichtendienstes GRU.

Der Kreml führt seinen hybriden Krieg vorzugsweise über Cyberangriffe, wie sie zuletzt die Schweiz vor dem Ukraine-Friedensgipfel erlebte. Sabotageakte nehmen aber zu, vor allem im Baltikum. Zuletzt warf etwa Estland Moskau vor, gezielt GPS-Signale am Flughafen Tartu zu stören. Die Airline Finnair setzte daraufhin wochenlang Flüge in die estnische Hauptstadt aus. Auch die Bahn-Infrastruktur ist immer wieder Sabotage-Ziel: in Polen, Tschechien, Deutschland. Die Absicht sei stets gleich, sagt Schmidt-Eenboom: „Es geht darum, Unsicherheit in Europa zu stiften.“

Dabei setzt Russland immer öfter auch auf Zivilisten als Täter. Es handele sich vor allem um „Kriminelle, die in Sozialen Netzwerken rekrutiert und in Kryptowährungen bezahlt werden“, sagten Sicherheitsexperten dem „WSJ“. Sie würden „wie Uber-Fahrer rekrutiert“, etwa über das Netzwerk Telegram. Dass der GRU auch in Deutschland wildert, weiß man spätestens seit April.

Damals nahmen Ermittler den Deutsch-Russen Dieter S. und seinen Komplizen Alexander J. in einem kleinen Ort nahe Bayreuth fest. Beide sollen für die Russen spioniert und den US-Truppenstützpunkt in Grafenwöhr ausgekundschaftet haben, um dort womöglich Brandanschläge durchzuführen. Spionage und Sabotage gab es auch vorher, sagt Schmidt-Eenboom. „Aber das hatte eine neue Qualität.“

Attacken wie die in Berlin werde es immer wieder geben, sagt er. Dass am dortigen Diehl-Standort gar keine Rüstungsgüter produziert werden, spreche im Übrigen nicht gegen russische Drahtzieher. Es gehe bei solchen Aktionen darum, ein Signal an die Ukraine-Unterstützer zu senden. Motto: Wir haben euch im Blick.

Ob die Bundesregierung einen ähnlichen Verdacht hegt, ist unklar. Sie wollte sich nicht äußern.

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