Putin stieß Kiew die Tür zur EU auf

von Redaktion

Sind sich näher denn je: Seit Beginn von Putins Krieg gegen die Ukraine gehört Kiew zur europäischen Familie. Nun beginnen auch die offiziellen Verhandlungen für einen Beitritt. © dpa

Luxemburg – Wenn es um die Frage ging, welche Länder irgendwann einmal den Beitritt zur EU schaffen könnten, war jahrelang vor allem von Balkanstaaten wie Montenegro oder Serbien die Rede. Russlands Kriegspolitik hat dies grundlegend geändert. Die Ukraine und ihr kleiner Nachbarstaat Moldau sind in kürzester Zeit zu EU-Beitrittskandidaten geworden und feierten am Dienstag den offiziellen Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen. Ist die EU schon bald größer als vor dem Brexit?

Relevant ist der Schritt vor allem psychologisch und symbolisch. Die EU zeigt den schätzungsweise mehr als 35 Millionen Menschen in der Ukraine und den 2,4 Millionen Menschen in Moldau, dass sie eine Perspektive haben, EU-Bürger zu werden. Er soll ein Zeichen sein, dass es sich lohnt, für Freiheit und Demokratie zu kämpfen. Der CDU-Außenpolitiker Michael Gahler sagte zum Start des Verhandlungsprozesses, für die Menschen in der Ukraine sei die Europäische Union „der verheißungsvolle Fluchtort aus dem düsteren Kriegsalltag“. Sie setzten große Hoffnungen auf die EU.

Da es in Moldau keinen Krieg gibt, ist die Lage dort etwas anders, die EU hat aber auch ein strategisches Interesse daran, die Bürger des ukrainischen Nachbarstaates auf EU-Kurs zu halten. „Die Republik Moldau wird wegen ihrer Solidarität mit der Ukraine und der proeuropäischen Orientierung, angeführt von Präsidentin Maia Sandu, vom Kreml offen ins Visier genommen“, erklärt David McAllister (CDU), der zuletzt Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament war. Das zeige sich besonders vor den anstehenden Präsidentschaftswahlen im Oktober.

Grundsätzlich ist der Begriff Verhandlungen etwas irreführend. Letztendlich geht es nämlich darum, dass die EU den Kandidatenländern sagt, was sie noch zu tun haben, um in die Union aufgenommen zu werden. Am Anfang ist vor allem wichtig, dass das Land die grundlegenden Beitrittsvoraussetzungen erfüllt. Dazu geht es dann um Themen wie Rechtsstaatlichkeit und Justiz.

Wie lange die Beitrittsverhandlungen dauern werden, ist noch vollkommen unklar und hängt vor allem von den Reformfortschritten der Kandidaten ab. Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei wurden beispielsweise bereits 2005 gestartet – und heute liegen sie wegen Rückschritten bei der Rechtsstaatlichkeit komplett auf Eis. Relevant ist auch, dass für das Öffnen und Schließen von Verhandlungen eine einstimmige Entscheidung aller EU-Staaten notwendig ist. Dies birgt Blockade-Risiken.

Vor allem bei der Ukraine gilt Ungarn als Risikofaktor. So sagte Regierungschef Viktor Orbán zum Gesprächsstart, die Sache sei für ihn „ein rein politisch motivierter Prozess“. Er halte es nicht für gut, Verhandlungen zu beginnen, ohne Klarheit in bestimmten Fragen zu haben. Fraglich seien etwa die Folgen, wenn man ein Land im Krieg aufnehme, dessen Grenzen in der Praxis nicht geklärt seien. Zudem müsse geprüft werden, was für Folgen der Beitritt des riesigen Landes für die Landwirtschaft der EU hätte.

Die riesige Landwirtschaft der Ukraine würde tatsächlich eine umfangreiche Reform der EU-Agrarförderungen notwendig machen. EU-Experten rechneten zuletzt aus, dass ohne Änderungen in einem Haushaltszeitraum von sieben Jahren EU-Mittel in Höhe von insgesamt 186 Milliarden Euro in die Ukraine fließen würden. Beim Thema Grenzen gilt, dass die Ukraine wohl nicht EU-Mitglied werden kann, bevor nicht der Krieg mit Russland beendet wurde. Denn sonst könnte Kiew nach Artikel 42, Absatz 7 des EU-Vertrags militärischen Beistand von anderen EU-Staaten einfordern – und die EU wäre offiziell Kriegspartei.

Grundsätzlich sind viele in der EU der Ansicht, dass eine Aufnahme von großen Ländern wie der Ukraine nur dann zu einem Erfolg werden kann, wenn es zuvor eine umfangreiche EU-Reform gibt. Die Entscheidungsprozesse im Bereich der Außenpolitik sind beispielsweise schon heute teilweise sehr schwerfällig, weil in der Regel das Einstimmigkeitsprinzip gilt.

Für die Menschen in der Ukraine gilt die Eröffnung von EU-Beitrittsverhandlungen als wichtiges Zeichen dafür, dass es sich lohnt, den Abwehrkampf gegen Russland weiter fortzusetzen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte von einem „historischen Ereignis“ gesprochen. „Das ist der Tag, auf den die Ukraine seit Jahrzehnten zustrebt. Und nun wird es Wirklichkeit“, sagte er.

Artikel 1 von 11