„Überraschend und verstörend“: Alexander Dobrindt (CSU) bekommt Ärger in Teilen der Union. CDU-Chef Friedrich Merz schweigt diesmal. © Michael Kappeler/dpa
Berlin/München – Es ist Mitte der Woche, und Alexander Dobrindt hat so viel Haue kassiert wie andere Politiker in einem ganzen Jahr nicht. Er solle sich „schämen“, schäumt die SPD, „unchristlich“ sei er. „Bizarr“ findet ihn die FDP. Als „entmenschlicht“ wird er in einem Zeitungskommentar beschrieben. Über seine „Populisten-Pauke“ klagt die „Bild“-Zeitung, die den Klang dieses Instrument selbst sehr gut kennt.
In einem Zitat in einer Sonntagszeitung hat der CSU-Statthalter in Berlin eine dicke Schlagzeile gesetzt. Er forderte, ukrainische Flüchtlinge, die Arbeit ablehnen, sollten zurückkehren. Es müsse der Grundsatz gelten: „Arbeitsaufnahme in Deutschland oder Rückkehr in sichere Gebiete der West-Ukraine.“ Genau betrachtet, ist das wortgleich, was Dobrindt schon Anfang Januar in ein Papier zur Seeon-Klausur seiner CSU-Landesgruppe schrieb. Und seither immer wieder in Interviews einstreute. Weil der Berliner Politikbetrieb so gerne aufgeregt ist und schnell vergisst, taugte das nun für eine zweite Zorn-Welle. Zumal die SPD Dobrindt unterstellt, auch Frauen und Kinder zurücksenden zu wollen; was er so nicht meinte.
Tatsächlich gibt es aus der Ukraine, Politik wie Zivilgesellschaft, seit Monaten die Forderung: Schickt unsere Leute zurück, vor allem die Männer! Gleichzeitig wächst in Deutschland der Ärger über auffallend niedrige Beschäftigungsquoten der Ukrainer (rund 25 Prozent, in Dänemark 77), obwohl sie ab Tag 1 arbeiten dürften. Nicht generell steckt Unlust dahinter oder das recht hohe Bürgergeld, oft auch Sprachbarrieren, Betreuungsprobleme und deutsche Trödelei beim Anerkennen ukrainischer Berufsabschlüsse. Doch selbst Kanzler Olaf Scholz (SPD) schickte im Mai eine verklausulierte Warnung. „Über die Erwerbstätigkeit entsteht auch die Aufenthaltssicherheit“, sagte er bei einem Auftritt.
Dobrindt nutzt seine Gabe, das prägnanter zu formulieren. Über die Hintergründe kann man spekulieren: Er will wohl vor den Landtagswahlen im viel ukrainekritischeren Ostdeutschland einen Kontrapunkt setzen. Ausdauernde Hilfe ja, Schutz auch, aber nicht ohne Gegenleistung. In der Bevölkerung, an den Stammtischen, mehren sich budnesweit längst kritische Töne über angeblich mangelnde Arbeitsbereitschaft der Ukrainer, gespeist durch viele Hörensagen-Einzelfälle. Wenn die Mitte nicht Klartext dazu redet, tun es AfD und BSW.
Allerdings testet er damit auch in der Union Grenzen. Dass das Bürgergeld Fehlanreize setzt (Dobrindt: „Integrationsbremse“), ist Konsens. Das Rücksenden nicht. Mehrere CDU-Politiker, darunter Nord-Ministerin Karin Prien, widersprachen öffentlich: Man dürfe „nicht das Lied von Putins Freunden singen“. Am Dienstag rummste es intern in der Unionsfraktion, bestätigen mehrere Teilnehmer. „Überraschend und verstörend“ sei Dobrindts Vorstoß, zitiert der „RND“ den Dürener CDU-Abgeordneten Thomas Rachel, einer von mehreren Kritikern. Auch in der Westukraine hagle es russische Raketen. Daniela Ludwig (CSU) konterte mit einer Anspielung auf die Merkel-Jahre. Sie sei „froh, dass wir in der Fraktion über Migration in klarer Sprache sprechen dürfen, es gab Zeiten, wo das nicht erwünscht war“.
CDU-Chef Friedrich Merz schwieg, ließ die Debatte eine Stunde laufen. In kleinerem Kreis soll er zuvor gesagt haben, man könne über die „Wortwahl“ immer streiten, der Verweis aufs Bürgergeld sei richtig. Zu eigen machen sich den Ruf nach Rücksendung auch weder CSU-Chef Markus Söder, obwohl mit Dobrindt mehrfach täglich in Kontakt, noch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann.
Als Erfolg dürfte Dobrindt verbuchen, das Wochenende medial dominiert zu haben, an dem parallel große TV-Interviews von Merz und Scholz liefen. Und: Er hat das Thema gesetzt. Womöglich gerät da etwas in Bewegung. Darauf deutet auch eine Forderung von Johannes Winkel hin, dem Bundesvorsitzenden der Jungen Union. Es sei in Ordnung, wenn man ukrainische Frauen und Kinder auch mit Sozialleistungen unterstütze, sagte der 32-Jährige jetzt der „Welt“. Männer im wehrfähigen Alter jedoch „sollten in Deutschland gar keinen Schutzanspruch haben, sondern ihr Land verteidigen“. Stand April sind laut Bundesagentur für Arbeit 855 000 erwerbsfähige Ukrainer in Deutschland, davon 313 000 Männer. 506 000 Ukrainer in erwerbsfähigem Alter (nicht erfasst nach krank/gesund) beziehen Bürgergeld.