Die offene Europa-Wunde der AfD

von Redaktion

Unzertrennlich? Beim Parteitag dürfte vor allem Tino Chrupalla Kritik einstecken müssen. Alice Weidel stellt sich vorsorglich schützend vor ihn. © Ralf Hirschberger/afp

München – In der Politik ist es manchmal wie weit oben am Berg: Wenn einer strauchelt, greift idealerweise die Seilschaft. Es ist jedenfalls kein Zufall, dass die oft eisige Alice Weidel zuletzt so herzlich über ihren Co-Vorsitzenden sprach. „Tino Chrupalla und ich haben beide unterschiedliche Stärken, wir wollen als Doppelspitze weitermachen“, sagte die AfD-Chefin der „Welt“. „Ich möchte nicht auf ihn an meiner Seite verzichten.“

Das war mehr als eine Nettigkeit, es war ein dröhnendes Signal. Weidel, die an der Basis beliebt ist, warf sich damit für den Kollegen in die Bresche. Das könnte nötig sein: Denn beim Parteitag, der am Samstag in Essen startet, dürfte es für den Sachsen eng werden.

Eigentlich hätte die AfD Gründe genug, zwei ruhige Tage in der Essener Grugahalle zu verbringen. Das gute Europawahlergebnis wirkt noch nach und man hofft, den Schwung in die Landtagswahlkämpfe im Osten mitnehmen zu können. Zugleich steckt vielen in der Partei der von Skandalen zerschossene Europawahlkampf in den Knochen. Sie wollen Aufarbeitung. Und womöglich auch eine Abrechnung.

Im Zentrum steht der Umgang mit den beiden EU-Spitzenkandidaten Maximilian Krah und Petr Bystron, an denen sich intern die Geister scheiden. Die Auswahl der Kandidaten sei „kein Ruhmesblatt“ gewesen, kritisieren einige West-Verbände. Aus dem bayerischen Landesvorstand kommen derweil ganz andere Töne. In einem Antrag bezeichnet er Krah und Bystron als Opfer von „auf Lügen und Verdächtigungen basierenden Schmutzkampagnen“. Deren Ziel sei es gewesen, „dem Ruf der gesamten Partei zu schaden und uns innerparteilich zu spalten“.

Der gut hörbare Unterton: Die Parteichefs machten auch noch mit. Das meint vor allem Chrupalla, der in der Schlussphase des Wahlkampfs ein Auftrittsverbot für den skandalträchtigen Krah mittrug. Der Sachse sei „grundsätzlich an der falschen Position“, sagt ein führendes bayerisches Parteimitglied. Hinzu kommt: Während Weidel auf den Rückhalt der West-Landesverbände setzen kann, von manchen gar zur kommenden Kanzlerkandidatin hochgejazzt wird, ist Chrupallas Unterstützerkreis bröckelig geworden. Dass er sich nicht vor Krah stellte, nehmen ihm manche im Osten besonders übel.

Für Chrupalla könnte es also knapp werden, zumal er schon bei der Vorstandswahl 2022 nur magere 53 Prozent bekam. Zwar gibt es keine Gegenkandidaten – auch Thüringens Landeschef Björn Höcke schloss kürzlich aus anzutreten. Möglich wäre aber, dass die AfD künftig nur noch von einer Person geführt wird. Das sei zwar nicht geplant, heißt es aus bayerischen Parteikreisen, aber denkbar. Wegen all des Europaärgers sei der Parteitag nur schwer zu steuern.

Einflussreiche Kräfte in der AfD drängen seit Langem auf eine grundsätzliche Änderung der Führungsstruktur. In Essen soll nun darüber abgestimmt werden, ob es künftig einen Generalsekretär geben wird, einen also, der im Inneren ordnet und nach außen zuspitzt. Der Posten soll aber nur dann besetzt werden, wenn die Partei von einer einzelnen Person geführt wird und auch erst ab 2025. Nach der anstehenden Wahl dürfte es also noch keinen AfD-General geben.

Der Antrag geht auf den rheinland-pfälzischen Bundestagsabgeordneten Sebastian Münzenmaier zurück, der in den vergangenen Monaten ein wirkungsstarkes Netzwerk innerhalb der AfD aufgebaut hat. In der Gesinnung völkisch, im Auftritt aber weniger ruppig als Krah oder Höcke, gilt er als gewiefter Strippenzieher. Auf sein Konto geht unter anderem eine Liste mit potenziellen Vorstands-Kandidaten, die dieser Tage in der Partei die Runde macht. Darauf finden sich auch zwei bayerische Namen: Katrin Ebner-Steiner und Ingo Hahn. Wirklich antreten, heißt es, werde aber nur Hahn.

Münzenmaier sollte man auf der Rechnung haben. Er selbst wird – falls der Antrag durchgeht – als Generalsekretär gehandelt, sein Rechtsaußen-Netzwerk aus jüngeren AfD-Politikern hat den Einfluss ausgebaut. Es zeigt jene Stabilität, die den etablierten Völkischen zuletzt fehlte. Dort duellierte man sich zuletzt offen: Höcke zeigte sich „enttäuscht“ von Krah, weil dessen Umfeld einen Online-Feldzug gegen den neuen EU-Delegationsleiter, den Thüringer René Aust, gestartet hatte. Angeblich soll es ein klärendes Gespräch zwischen Höcke und Krah gegeben haben. Der Zoff um die Führungsrolle bei den Radikalen: offenbar vertagt.

Das könnte auch für Chrupalla gelten. Höcke jedenfalls forderte, dem Spitzenduo zwei weitere Jahre zu schenken. „Ob dann die Zeit für eine Einerspitze gekommen ist, muss dann entschieden werden.“ Er meint wohl: seine Zeit.

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