Ein Duell verstört die halbe Welt

von Redaktion

Diese TV-Debatte dürfte in die Geschichte eingehen. Joe Biden liefert im Duell mit Donald Trump ein verheerendes Bild ab – sodass dagegen selbst die Unwahrheiten des Herausforderers verblassen. Ist Biden dem Amt noch gewachsen? Und was wäre der Plan B?

Amerika hat die Wahl zwischen einem alten und angeschlagenen US-Präsident Joe Biden (r.) und seinem Vorgänger Donald Trump, dessen Rückkehr ins Weiße Haus viele in der westlichen Welt fürchten. © Gerald Herbert/AP/dpa

München/Washington – Der US-Wahlkampf kennt keine Gnade, die Wahlvideos sind mitunter brutal. Aber diesmal müssen die Republikaner gar nicht viel tun. Für den Morgen nach dem TV-Duell zwischen Donald Trump und Joe Biden haben sie einfach die Tiefpunkte des Auftritts des Präsidenten zusammengeschnitten. Eine Minute und 35 Sekunden stammelt und stottert der 81 Jahre alte Joe Biden, während Trump nur kritisch schaut. Vernichtender geht es kaum.

Die Debatte im US-Bundesstaat Georgia ist kaum zu Ende, da herrscht in den USA, ja eigentlich in der ganzen westlichen Welt helle Aufregung. Schon eine halbe Stunde später findet sich der Präsident auf einer Party in Atlanta ein, wo er und die First Lady mit den Treuesten der Treuen feiern wollten. Der Sender CNN, der zuvor die 90-minütige Diskussion übertragen hatte, blendet während seiner Expertenrunde die Party-Bilder ein. Der Kontrast könnte nicht dramatischer sein: Während das Präsidentenpaar freudig winkt, dominieren bei den vorwiegend liberalen Analysten im Sendestudio die Zweifel: Wie konnte es die Partei nur zulassen, dass Biden auf einer Debatte vor Millionen Zuschauern zur besten Sendezeit bestand? Und: Besteht die Möglichkeit, vier Monate vor der Wahl den Präsidenten doch noch von einem Verzicht auf eine zweite Amtszeit zu überzeugen?

Eine ganze Woche lang hatte sich Biden aus dem Regierungsalltag zurückgezogen, um für die Debatte zu trainieren – nur um dann das Gegenteil eines souveränen Staatschefs zu präsentieren. Schon nach wenigen Minuten sucht er nach Worten, verliert den Faden und springt zwischen den Themen hin und her, auch wenn es keinen Sinn macht. Zudem nutzt er mehrfach nicht die Zeit aus, die ihm nach den Debattenregeln zugestanden hätte. Auch die vielen Unwahrheiten des überraschend disziplinierten Trump kontert er nicht immer. Wenn der 78 Jahre alte Trump redet, starrt Biden oft wie paralysiert in die Kamera. Er habe unter einer Erkältung gelitten, lässt das Weiße Haus schon nach 50 Minuten entschuldigend verlauten. Die „Washington Post“ bilanziert: „Er verlor die Debatte von Anfang an.“

Bei den Fakten zu den großen Themen Inflation, Beschäftigung, Einwanderung und Außenpolitik sind die Analysen zwar klar: Trump sagt doppelt so häufig die Unwahrheit. Doch all das gerät angesichts des Auftritts in den Hintergrund. Anhänger der Demokraten haben sichtlich Probleme, die Leistung des US-Präsidenten zu verteidigen. „Sein größtes Problem war, dass er dem amerikanischen Volk beweisen musste, dass er die Energie und Ausdauer hat. Und das tat er nicht“, sagt Kate Bedingfield, einst unter Biden Kommunikationsdirektorin im Weißen Haus. Die „New York Times“ zitiert einen prominenten Spender der Demokraten, Mark Buell, mit klaren Worten: Der Präsident müsse dringend überlegen, ob er der beste Kandidat sei. Unter dem Deckmantel der Anonymität werden einige noch deutlicher. „Eine Katastrophe“, urteilt ein demokratischer Abgeordneter dem Sender CNN zufolge.

Biden lehnt einen Rückzug ab. Er könne diesen Job machen, sagte er nur Stunden nach der verkorksten Debatte bei einem Auftritt in North Carolina – und wirkte dabei wie ausgewechselt. „Ich weiß, ich bin kein junger Mann, um das Offensichtliche zu sagen“, rief er seinen jubelnden Anhängern zu. Er laufe, rede und debattiere zwar nicht mehr so gut wie früher. „Aber ich weiß, wie man die Wahrheit sagt.“ Barack Obama stellte sich hinter Biden. „Schlechte Duelle passieren. Glaubt mir, ich weiß das“, schrieb der Ex-Präsident. Aber diese Wahl sei die Entscheidung zwischen jemandem, der für die einfachen Leute kämpft, „und jemandem, der sich nur um sich selbst kümmert“.

Eine zweite Debatte ist für September geplant. Ob sie die Rettung bringt für Biden? Thomas L. Friedman dürfte zweifeln. „Ich habe die Biden-Trump-Debatte alleine in einem Hotelzimmer in Lissabon verfolgt und musste weinen“, schreibt der „New York Times“-Kolumnist. „Ich kann mich an keinen herzzerreißenderen Moment im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf in meinem Leben erinnern (…): Joe Biden, ein guter Mann und ein guter Präsident, sollte sich nicht mehr für die Wiederwahl bewerben. Und Donald Trump, ein bösartiger Mann und kleiner Präsident, hat nichts gelernt und nichts vergessen.“ Amerika und die Welt verdienten Besseres.
(MIT DPA)

Artikel 4 von 11