Die Bundesregierung hat ein weiteres Ausrüstungspaket für die Bundeswehr beschlossen. Darin: rund 6500 Übungs-Lkw, Panzer, Munition und Handwaffen. © RMMV GmbH/RMMV GmbH/obs
Berlin – Seit mehr als zwei Jahren unterstützt Deutschland die Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg. Doch die Bundeswehr steht vor einem Zielkonflikt, der kaum zu lösen ist: Militärhilfe für die Ukraine, und zwar möglichst viel – aber selber muss die Truppe schon auch einsatzbereit bleiben. Offenbar klaffen da gefährliche Lücken. Nach Informationen der Deutschen Presseagentur informierte die Regierung erst kürzlich den Verteidigungsausschuss des Bundestags über die materielle Einsatzbereitschaft der Streitkräfte. Die Details, die öffentlich nicht bekannt sind, lösten Sorge aus – auch bei der Union. Verteidigungsexperte Johann Wadephul (CDU) hält vor allem eine Tatsache für untragbar: Es gebe einen massiven Mangel an Waffen und Munition und auch an Soldaten – und das im dritten Jahr der militärischen Zeitenwende.
Der Zustand der Bundeswehr ist aus Sicht der Union mehr als alarmierend. „Die Ampel wird die Bundeswehr in einem schlechteren Zustand übergeben, als sie sie übernommen hat“, so Wadephul im Gespräch mit der Deutschen Presseagentur in Berlin. Doch was hätte diese Regierung angesichts der Situation tun sollen? Sich gegen Militärhilfe für die Ukraine entscheiden? Nein, sagt Wadephul. „Ich kritisiere keine einzige der Abgaben“, stellt Wadephul klar. „Das hat naturgemäß zu einer schlechteren Ausstattung beigetragen.“ Daran trage auch die Ampel-Regierung keine Schuld.
„Man muss allerdings sagen, sowohl was die materielle als auch was die personelle Ausstattung angeht, fehlt es schlicht und ergreifend an effektiven und durchgreifenden Maßnahmen, die zu einer Verbesserung geführt hätten.“ Wie es um die Bundeswehr im Detail steht, ist öffentlich nicht bekannt. Solche Informationen sind seit der veränderten Bedrohungslage geheim und nur wenigen Personen bekannt. Doch „nach allem, was man hört und liest, erfüllt Deutschland Mindestanforderungen an Beständen im Bereich Munition nicht. Die Nachbeschaffung krankt. Wir laufen Gefahr, an der Stelle zu einem Problem auch innerhalb der Nato zu werden“, warnt Wadephul.
Die Luftwaffe habe drei von zwölf Patriot-Luftabwehrsystemen der Ukraine überlassen, weitere müssen modernisiert werden. Der aktuelle Bestand: Gerade noch so, dass selbst ausgebildet werden kann. Auch das Panzerbataillon 203 ist blank, nachdem es seine Leopard-2-Kampfpanzer an die Ukraine abgegeben hat. Von der Artillerieschule im rheinland-pfälzischen Idar-Oberstein ganz zu schweigen. Vor allem die Munition fehle hier.
„Aus meiner Sicht wird zu wenig investiert“, sagt Wadephul. „Ich kenne einen Kommandeur, der mir sagt: Ich habe zwar immer noch 100 Prozent des Personals, aber ich habe 20 Prozent der materiellen Ausstattung. Deswegen gibt es in großen Teilen der aktiven Truppe eine tiefe Frustration.“
Kritik, die SPD-Verteidigungsexperte Wolfgang Hellmich zurückweist. Sie gehe substanziell ins Leere. Allein in dieser Woche werde der Bundestag weitere Ausrüstungspakete für die Bundeswehr beschließen. Darunter seien Handwaffen, Artilleriemunition, weitere 105 Leopard-Panzer und rund 6000 Militär-Lkw. Das eigentliche Problem – die Beschaffung dieser Ausrüstung – sei damit aber nicht gelöst: Es gebe „nicht mal ein Reförmchen im Bereich des Beschaffungswesens“, kritisiert Wadephul. Die Strukturen seien „nicht mehr zukunftsfähig“.
Warnung vor neuen Kriegsherden
Um was es wirklich geht, zeigt der Blick voraus. Militärexperten wie der deutsche Befehlshaber des Multinationalen Korps Nordost, Generalleutnant Jürgen-Joachim von Sandrart, warnen: „Russland klein zu hoffen und zu denken, das wäre ein existenzieller Fehler“, sagt er im Gespräch mit der „Welt“. Russland habe das Potenzial auch andere Länder anzugreifen, die Bedrohung sei real und wachse von Tag zu Tag, so Sandrart.
Auch Wadephul schließt sich dem an: „Ich rate davon ab, dass wir auf das Prinzip Hoffnung setzen.“ Russland bereite sich auf mehr vor und auch die Bundeswehr sollte dies tun. Die bittere Wahrheit: Das Europa, an dem viele gedanklich festhalten, existiert nicht mehr. „Wir werden Sicherheit nicht mit, sondern nur noch gegen Russland in Europa haben.“ Das zu verkennen, könne mehr kosten, als Deutschland und Europa tragen könnten.