An der Schwelle der Macht: Marine Le Pen und ihre Partei Rassemblement National (RN) haben in der ersten Runde einen deutlichen Wahlsieg eingefahren. © epa/dpa
Paris – Er wollte mit riskanten Parlamentswahlen hoch hinaus, doch nun folgt für Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wohl der tiefe Fall. Nicht nur dürfte sein Lager die relative Mehrheit in der Nationalversammlung verlieren und nur noch drittstärkste Kraft sein. Auch könnte er, der um keinen Preis als Wegbereiter der Rechtsnationalen in die Geschichte eingehen will, durch seinen Poker nun die Schlüssel der Macht an die erste Rechtsaußenregierung seit Jahrzehnten übergeben.
Ganz egal, wie genau die entscheidende Wahlrunde am nächsten Sonntag ausgeht: Der Herrscher im Élyséepalast, der bislang alle Zügel selber in der Hand hielt, wird seine Macht teilen müssen. Ob mit Marine Le Pens Rassemblement National (RN), der in der ersten Wahlrunde triumphierte, oder dem zweitplatzierten neuen Linksbündnis Nouveau Front Populaire – das hängt von zwei Faktoren ab, auf die Macron kaum Einfluss hat: die strategische Positionierung der Parteien und das Wahlverhalten.
Nur 76 der 577 Sitze der Nationalversammlung wurden in der ersten Runde vergeben. Der Rest folgt in den Stichwahlen. Mit dabei sind all diejenigen, für die mindestens 12,5 Prozent der eingeschriebenen Wähler in ihrem Wahlkreis gestimmt haben. Die große Frage: Verständigen sich wirklich alle Parteien jenseits der extremen Rechten in allen Wahlkreisen mit drei potenziellen Kandidaten für die Stichwahl darauf, ihre drittplatzierten Bewerber zurückzuziehen und eine Empfehlung für den stärksten Herausforderer des RN-Kandidaten abzugeben? Bereits bis Montagabend hatten sich schon mehr 150 Kandidaten zu einem taktischen Rückzug entschlossen. Zu ihnen zählen mehrheitlich Kandidaten des neuen links-grünen Wahlbündnisses.
Das Verhalten der tief gespaltenen konservativen Républicains, die zwischen einer Allianz mit Le Pen und klarer Kante gegen die Rechtsaußen schwanken, bleibt abzuwarten. Die Praxis von Zweckbündnissen für den zweiten Wahlgang hat in Frankreich mit seinem Mehrheitswahlrecht Tradition. In welchem Umfang sie angesichts der hohen Zustimmungswerte für die Rechten diese nun ausbremsen kann, muss sich zeigen.
Denn nichts deutet darauf hin, dass nach dem Rekordergebnis für den RN in der ersten Wahlrunde nun die Zustimmung für die Rechtspopulisten bröckelt. Nach einer Umfrage des Instituts Ipsos sind 74 Prozent der Wähler in Frankreich mit Macron unzufrieden. Und seine Strategie, die Parteien links und rechts seines Mitte-Lagers als unwählbare Extremisten oder deren Verbündete zu disqualifizieren, ging erkennbar nicht auf.
Interessant ist ein Blick auf das Wahlverhalten: Die Rechtsnationalen bekamen besonders viele Stimmen von Arbeitern und Menschen ohne höheren Bildungsabschluss. Das Mitte-Lager von Macron erhielt erneut vor allem Stimmen von Senioren sowie den finanziell Bessergestellten. Das neue Linksbündnis Nouveau Front Populaire wurde Ipsos zufolge vor allem von Jüngeren, Menschen in größeren Städten und Menschen mit höheren Bildungsabschlüssen gewählt.
Gelingt Macron nun ein Schulterschluss mit dem Linksbündnis, das im Wahlkampf mit üppigen Zusatzausgaben geworben hatte? Die hohe Verschuldung Frankreichs bietet, nüchtern betrachtet, kaum Spielraum für kostspielige neue Zukunftsvisionen. Vor zwei Wochen erst startete die EU-Kommission auch gegen Frankreich ein Defizitverfahren wegen zu hoher Neuverschuldung.
Klar scheint derzeit nur, dass der junge Premierminister Gabriel Attal, auf den Macron bei der Ernennung Anfang des Jahres noch viel Hoffnung setzte, bei den potenziellen künftigen Machtkonstellationen nicht im Amt bleiben kann. Und dass Macron an Macht verliert.