Wahlkampf bei McDonald‘s: Premierminister Rishi Sunak kämpft, hier in Luton, auf verlorenem Posten. © Jonathan Brady/dpa
London – Die letzte Hoffnung bringt Rishi Sunak der Fußball. „It’s not over until it’s over“, postet der britische Premierminister bei X. Dazu: Ein Bild, wie der 44-Jährige über den Ausgleich der englischen Nationalmannschaft in letzter Minute im EM-Achtelfinale gegen die Slowakei jubelt. Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist. Heute wählt Großbritannien ein neues Parlament. Sunaks Post soll zeigen: Bis die Wahllokale schließen, kann alles passieren. Auch ein Sieg von Sunaks Konservativer Partei.
Doch selbst Regierungsmitglieder glauben nicht mehr an einen Sieg, es geht nur noch um Schadensbegrenzung. Den Tories, einer der erfolgreichsten Parteien der westlichen Welt, droht der „wipeout“, der Sturz in die Bedeutungslosigkeit. Manche Projektionen sehen die Konservativen bei deutlich unter 100 Sitzen. 2019 hatten sie 365 der 650 Mandate abgeräumt. Als erster Premier der Geschichte könnte Sunak seinen Wahlkreis verlieren.
Labour-Chef Keir Starmer ist für den erwarteten Erfolg nur in eingeschränktem Maße verantwortlich. Viele Wähler wissen wenig über den einstigen Chef der Anklagebehörde CPS oder über die Ziele seiner Sozialdemokraten. Schuld sind vielmehr die Konservativen selbst. „Die Tories haben das Recht verwirkt, zu regieren“, urteilt die konservative Zeitung „Sunday Times“. Das Wirtschaftsblatt „Financial Times“ kommentiert: „Großbritannien braucht einen Neuanfang.“
Der Politologe Tim Bale nennt die 14-jährige Regierungszeit der Konservativen katastrophal. „Sie sind schon zu lange im Amt und können kaum oder gar keine nennenswerten politischen Erfolge vorweisen“, sagt Bale von der Queen Mary University of London. „Der Brexit hat nicht funktioniert. Die Einwanderungszahlen sind aus Sicht der Brexit-Gegner zu hoch. Die Wirtschaft ist träge. Das staatliche Gesundheitswesen NHS steckt in der Krise. Und sie haben eine Reihe hoffnungsloser Politiker gewählt.“ Es sind vor allem das Chaos und die Skandale unter Sunaks Vorgängern Boris Johnson und Liz Truss, die Wähler abgeschreckt haben.
Durchaus möglich, dass die Tories nicht einmal die stärkste Oppositionsfraktion stellen. Damit einher ginge ein großer Verlust an Einfluss: Die offizielle Opposition unterhält ein Schattenkabinett, darf Ausschüssen vorsitzen und bekommt deutlich mehr Redezeit im Parlament. Diese Rolle könnte den Liberaldemokraten zufallen. Parteichef Ed Davey blieb im Wahlkampf mit aufsehenerregenden Stunts wie Bungee-Jumping im Gespräch. Stimmen kosten dürfte den Tories auch Mr. Brexit Nigel Farage mit seiner Partei Reform UK.
Wie geht es nach der Wahl für die Tories weiter? Eine wichtige Rolle spielt dabei, wer überhaupt im Parlament übrig bleibt, wie Experte Bale betont. Mehreren Kabinettsmitgliedern droht das Aus. Dazu gehört auch Penny Mordaunt – bekannt geworden, als sie bei der Krönung von König Charles ein Schwert trug – als Favoritin des moderaten Parteiflügels. Außer ihr stehen Ex-Innenministerin Suella Braverman und Wirtschaftsministerin Kemi Badenoch für die Sunak-Nachfolge bereit. Laut „Times“ wurden für beide entsprechende Websites vorbereitet. Beide sind Vertreterinnen des rechtskonservativen Flügels. Unter ihnen würden sich die Tories noch stärker zu einer rechtspopulistischen Partei entwickeln, sagt Bale. BENEDIKT VON IMHOFF