Plötzlich ist der Krieg wieder mitten in der Stadt: Dramatische Szenen in Kiew nach der Bombardierung eines Kinderkrankenhauses. © Efrem Lukatsky/dpa
Kiew – Einen Tag vor dem Nato-Gipfel in Washington sind durch schwere Raketenangriffe auf die Ukraine mehr als 30 Menschen getötet worden. In der Hauptstadt Kiew starben nach Behördenangaben mindestens 20 Menschen, mehr als 60 weitere wurden verletzt. Aus den Industriestädten Krywyj Rih und Dnipro im Süden der Ukraine wurden mindestens elf Tote und gut 60 Verletzte gemeldet.
Fassungslosigkeit löste in Kiew der Treffer auf ein großes Kinderkrankenhaus aus. Präsident Wolodymyr Selenskyj veröffentlichte im Sozialen Netzwerk X ein kurzes Video, das zerstörte Krankenzimmer und Blutspuren auf dem Fußboden zeigte. Selenskyj sprach davon, dass Menschen verschüttet seien. „Alle helfen, die Trümmer zu beseitigen – Ärzte und andere Leute“, schrieb er.
Selenskyj legte sich nicht fest, ob die Klinik direkt angegriffen worden sei oder die Attacke einem anderen Objekt gegolten habe. Aber er schrieb: „Russland kann sich nicht unwissend stellen, wohin seine Raketen fliegen, und muss für alle seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden.“ Bürgermeister Vitali Klitschko sprach von 16 Verletzten in dem Krankenhaus, darunter sieben Kindern.
Gesundheitsminister Wiktor Ljaschko zufolge wurden in dem Kinderkrankenhaus Abteilungen für Dialyse, Krebsbehandlung, Operationssäle und die Intensivstation beschädigt. Hunderte Anwohner halfen Rettungskräften, Trümmer zu räumen und nach Opfern zu suchen. „Kleine Krebs- und Dialysepatienten sitzen mit ihren Müttern auf dem Bürgersteig“, berichtete der deutsche Botschafter Martin Jäger von einem Besuch am Krankenhaus.
Das russische Verteidigungsministerium bestätigte Raketenangriffe, die angeblich Rüstungsfabriken und Militärflugplätzen der Ukraine galten. Die vielen Videobilder aus Kiew belegten, dass die Schäden durch eine ukrainische Flugabwehrrakete verursacht worden seien, hieß es ohne Beleg. Die Erschütterung der Ukrainer über den Angriff tat das Moskauer Militär als „Hysterie des Kiewer Regimes“ ab, wie sie sich immer wieder vor Zusammenkünften der Nato zeige. Ukrainischen Berichten zufolge wurde noch ein zweites Krankenhaus in der Hauptstadt auf der anderen Seite des Dnipro beschädigt.
Der private Stromversorger DTEK berichtete von Schäden an drei Trafostationen in der Hauptstadt. Neben Dnipro und Krywyj Rih wurden auch frontnahen Städte Slowjansk und Kramatorsk im ostukrainischen Gebiet Donezk zu Zielen. Angaben zu Treffern auf militärische Ziele oder Rüstungsfabriken wurden nicht gemacht.
Das russische Militär setzte bei dem Angriff Selenskyjs Angaben zufolge mehr als 40 Raketen ein. Ungewöhnlich war, dass die schwere Attacke tagsüber stattfand zu Beginn der Arbeitswoche. Schon in der Nacht hatte es Luftangriffe mit Drohnen, Marschflugkörpern und Raketen gegeben.
Die Ukraine drängt immer wieder auf die Bereitstellung moderner Flugabwehrsysteme. Nach jüngsten Angaben bekam Kiew vier der besonders leistungsfähigen Patriot-Systeme aus US-Produktion. Ein weiteres soll aus den Niederlanden kommen. Das bekräftigten Außenminister Caspar Veldkamp und Verteidigungsminister Ruben Brekelmanns von der neuen Regierung bei einem Besuch in Kiew.