Gespielte Herzlichkeit: Donald Trump bei einem Treffen mit der damaligen Kanzlerin Angela Merkel im Jahr 2018. © John Forster/dpa
München – Jubiläen verlangen nach warmen Worten. Bevor Olaf Scholz gestern in den Flieger nach Washington stieg, wo die Nato ihr 75-jähriges Bestehen feiert, würdigte er also die Verdienste des Bündnisses. Der Kanzler beschwor die internationale Zusammenarbeit, die Solidarität und Stärke, doch die unschöne Realität holte ihn schnell wieder ein. Die erste Frage der Reporter galt der geistigen Fitness Joe Bidens.
Das ist kein Widerspruch. Längst muss sich die westliche Welt darauf einstellen, dass der alternde Präsident im November seinem Vorgänger und Herausforderer Donald Trump unterliegen könnte. Das hätte weitreichende Folgen, für die Nato insgesamt, aber auch ganz konkret für Deutschland. An keinem anderen Verbündeten arbeitete sich Trump während seiner ersten Amtszeit so unermüdlich ab. Der deutsche Handelsüberschuss, die Gaslieferungen aus Russland, die Verteidigungsausgaben.
Die Bundesregierung macht sich da nichts vor. In der Vergangenheit habe sich Trump nicht als Freund Deutschlands gezeigt, erinnert Michael Link. „Wir erwarten nicht, dass sich das ändern wird.“ Der FDP-Abgeordnete ist als Koordinator für transatlantische Zusammenarbeit ein zentraler Akteur bei der Beziehungspflege. Er hat bislang 20 Bundesstaaten bereist, „die abseits der üblichen Besuchsrouten liegen“, und dort Gouverneure, Abgeordnete und Bürgermeister getroffen, Demokraten wie Republikaner. Auch der neue Botschafter in Washington, Andreas Michaelis, hat im August 2023 sein Amt mit dem klaren Auftrag angetreten, Kontakte ins Trump-Lager zu knüpfen. Die ganze Bundesregierung befasse sich zudem mit Papieren und Plänen, die von Trump-nahen Thinktanks stammen, sagt Link. Unberechenbar bleibe der Mann trotzdem.
Trump, weiß Link, kombiniere gerne Themenfelder, die eigentlich nichts miteinander zu tun hätten, um auf diese Weise ein Druckmittel zu erhalten: „Er kritisiert unsere Handelsbilanz und droht mit Konsequenzen im sicherheitspolitischen Bereich.“ Das mache eine gezielte inhaltliche Vorbereitung auf den Fall der Wiederwahl so schwierig. Man könne nur als EU geeint auftreten und sich in Berlin in allen Bereichen besser aufstellen. Scholz betonte vor der USA-Reise gestern die gestiegenen Mittel im Militärbereich, die nun dauerhaft bei zwei Prozent der Wirtschaftsleistung liegen sollen. Das richtete sich an die Runde in Washington – und ein bisschen an den Elefanten im Raum.
Es klingt schon beinahe flehentlich, wenn Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) über die transatlantische Freundschaft sagt: „Vertrauen und Verlässlichkeit sind in diesen Zeiten wichtiger denn je.“ Im Falle eines Trump-Sieges dürften sie so gefährdet sein wie lange nicht. Das weiß man bei der Nato, die Trump einst als „obsolet“ bezeichnete, aber auch in der Ukraine, deren Unterstützung Trump wohl radikal runterfahren würde.
Der Münchner FDP-Bundestagsabgeordnete Lukas Köhler hat Trumps Attacken auf die Nato oder die Welthandelsorganisation WHO noch lebhaft in Erinnerung, er weiß, dass Trump auf Verbündete nur Rücksicht nimmt, sofern sie ihm nützen. Er sieht aber auch die Kehrseite: „Wenn die USA keine Führungsrolle mehr einnehmen wollen, würde sich Europa die Chance bieten, mehr Einfluss zu nehmen. Das gilt auch für Handelsfragen.“
Eine der ersten Amtshandlungen Joe Bidens war die Rücknahme des Austritts aus dem Pariser Klimaschutzabkommen. Dass Trump an Umweltschutz wenig Interesse hat, ist bekannt. Köhler, als FDP-Fraktionsvize auch für Klimapolitik zuständig, glaubt dennoch nicht, dass Trump seinerseits wieder den Beschluss des Vorgängers revidiert. Nicht aus Einsicht, sondern aus machttaktischen Gründen: „Wenn man nicht mit am Tisch sitzt, kann man die Regeln auch nicht mitbestimmen.“
So unvorbereitet wie 2016, als man zu lange von einem Sieg Hillary Clintons ausging, wird die Bundesregierung auf eine mögliche Rückkehr Trumps nicht mehr reagieren. Der Opposition ist das dennoch zu wenig. Die Unionsfraktion berief Ende Juni eine interne Enquete-Kommission „Frieden und Sicherheit in Europa“. Abermals versäume man es, sich „auf die möglicherweise weitreichenden Folgen einer solch schicksalhaften Wahl vorzubereiten“, mahnte CDU-Chef Friedrich Merz. Beide, Biden wie Trump, würden Berlin stärker in die Verantwortung nehmen: „Der eine etwas freundlicher, der andere ganz sicher sehr viel unfreundlicher.“