Jetzt sagt also auch die FDP die Zeitenwende ab. Erst streicht Liberalen-Chef Lindner gemeinsam mit dem Kanzler dem Bundesverteidigungsminister die dringend benötigten zusätzlichen Milliarden für Deutschlands Sicherheit. Und jetzt geht der FDP sogar der (ohnehin wenig ambitionierte) Plan von Boris Pistorius zu weit, mehr freiwillige Rekruten für die Bundeswehr zu gewinnen, indem man alle junge Männer ab 18 einen Fragebogen zur Feststellung der Wehrtüchtigkeit ausfüllen lässt. Nur die, die darin Interesse bekunden, sollten gemustert werden; eine Wehrpflicht sah Pistorius aus guten Gründen ohnehin nicht vor. Er hätte sie in seiner SPD, die in großen Teilen lieber Mützenichs Russland-Träumereien als nüchterner Verteidigungs-Logik anhängt, auch nicht durchsetzen können.
Man darf vermuten, dass der Rückschlag, den die FDP zuletzt bei Jungwählern hat hinnehmen müssen, bei der Neuorientierung der Liberalen ebenso eine Rolle spielt wie das Erstarken vermeintlicher „Friedensparteien“, die weder mit dem Krieg in der Ukraine noch mit der Nato etwas zu tun haben wollen. Die energischste Streiterin für eine engagiertere Unterstützung der Ukraine, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, hat sich aus der bundesdeutschen Debatte verabschiedet und sich nach Brüssel umorientiert. Sie kann die Kreise des Parteivorsitzenden nun nicht mehr stören.
Lindner hat sich entschieden: Er bleibt in der Ampelkoalition, auch um den Preis eines weiteren verlorenen Jahres für Deutschland. Er tut das zur großen Enttäuschung vieler Wähler und Parteimitglieder. Um das bedrohlich schlingernde Parteischiff irgendwie noch vor dem Untergang zu bewahren, wirft Kapitän Lindner politischen Ballast über Bord. Ob die Verengung auf die Themen Schuldenbremse und Wirtschaft die FDP am Ende aber retten kann, ist fraglich. Erst recht, wenn in der aufkommenden Panik schwere Fehler wie Steuerrabatte für Ausländer hinzukommen. Mit Ordnungspolitik und Gleichheitsgrundsatz hat das nichts mehr zu tun. Die FDP irrlichtert in ihr vielleicht letztes Jahr. Georg.Anastasiadis@ovb.net