Weiter Ärger um Wehrpflicht und Dienstjahr

von Redaktion

CSU will sogar Grundgesetz schnell ändern, FDP bremst Pistorius – Ifo: Immense Kosten für die Volkswirtschaft

Rekruten beim Wehrdienst, ehe ihn ein CSU-Minister abschaffte: Wird es je wieder eine Pflicht geben? © Frank May/dpa/2005

München – Aus der Dienstpflicht wurde ein weiches Fragebogen-Modell – und trotzdem gibt es noch Ärger um die Wehrpflicht-Pläne von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Per Brief stellen sich die FDP-Bundesminister Christian Lindner (Finanzen) und Marco Buschmann (Justiz) gegen eine allgemeine Wehr- oder Dienstpflicht. Die Strukturen dafür aufzubauen, wäre ein „langwieriger und extrem kostenintensiver Prozess“, schreiben sie. Stattdessen setzen die beiden FDP-Politiker auf eine Attraktivitätssteigerung des Soldatenberufes und eine stärkere Rolle der Reserve.

Pistorius hatte, wohl nach internem Protest in der SPD und wegen der Vorbehalte in der Ampel, nur ein sehr entschärftes Modell vorgestellt: ein Grundwehrdienst von sechs Monaten mit einer verpflichtenden Erfassung, in der junge Männer ihre Bereitschaft und Fähigkeit benennen müssen (junge Frauen müssen nichts). Aus dem Pool von 400 000 Kandidaten eines Jahrgangs sollen von 2025 an jährlich zunächst 5000 zusätzliche Wehrpflichtige, später auch mehr gewonnen werden. De facto: Niemand gegen seinen Willen, und null Dienst im Zivilen.

Experten sind uneins, ob das weiterführt. Das Münchner Ifo-Institut warnt nun für den Fall einer Wiedereinführung der Wehrpflicht vor immensen volkswirtschaftlichen Kosten. Je nach Szenario würde der Schritt die deutsche Wirtschaftsleistung um drei bis 70 Milliarden Euro drücken, wie Berechnungen der Forscher ergaben. „Als Alternative zur Wehrpflicht wäre es sinnvoller, die Bundeswehr mit mehr Mitteln auszustatten, um sie als Arbeitgeber attraktiver zu machen“, sagte Ifo-Experte Panu Poutvaara. „Denkbar wäre, den Wehrdienstleistenden höhere Gehälter zu bezahlen.“

Die Wirtschaftsforscher beschäftigten sich mit drei Szenarien: Betreffe die Wehrpflicht jeweils den gesamten Jahrgang, drücke dies die Wirtschaftsleistung um 1,6 Prozent beziehungsweise 70 Milliarden Euro. Werde ähnlich wie bei der alten Wehrpflicht nur etwa ein Viertel eines Jahrgangs eingezogen, wären es 17 Milliarden Euro. Bei 5 Prozent eines Jahrgangs – laut Ifo entspräche dies in etwa dem in Schweden praktizierten Modell – wären es 3 Milliarden Euro. In der Studie stellten die Forscher zudem negative wirtschaftliche Folgen bei Einkommen und Konsum bis zum Lebensende fest.

Die Wehrpflicht war 2011 in Deutschland unter Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) nach 55 Jahren ausgesetzt worden. Das kam einer Abschaffung von Wehr- und Zivildienst gleich.

In der CSU geht die Debatte über eine Dienstpflicht oder ein „Gesellschaftsjahr“ weiter. Die Landtagsfraktion billigte nach lebhafter Debatte am Nachmittag eine Resolution, entworfen vom Abgeordneten Thomas Huber, mit dem Ruf nach einem Gesellschaftsjahr. „Wir brauchen einen Impuls für mehr Gemeinschaftsgefühl“, heißt es. Das Pflichtjahr für Männer und Frauen soll gestückelt werden können, auch bei Kirchen, Hilfsorganisationen, THW, Feuerwehr. Gegenleistung könnten ein kostenloser Führerschein, Vorrang bei Studienplätzen, bei Kfw- oder Bafög-Darlehen sein.

In Sachen Wehrpflicht für Männer und Frauen rät die Fraktion nach Informationen unserer Zeitung, auch in dieser Legislaturperiode, also mit der Ampel, für eine Grundgesetzänderung bereit zu sein. „Die Zeit drängt.“ Es gehe hier auch um die Verteidigungsfähigkeit des Landes, um „durchhaltefähige Streitkräfte und eine gut ausgebildete Reserve“. Pistorius‘ Modell reiche weder für die aktive Truppe noch für die Reserve aus. Auch mit einem Aufwuchs der Plätze für die bestehenden Freiwilligendienste müsse sofort begonnen werden.
(MIT DPA)

CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

Artikel 6 von 11