Abschiedsgruß? Beim Nato-Gipfel in Washington wird Joe Biden, hier mit dem scheidenden Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg (li.), genau beobachtet. © dpa/Vucci
Washington – Der Gegenwind für Joe Biden in der Debatte um seine Präsidentschaftskandidatur wird immer stärker. Der US-Präsident verliert in der Demokratischen Partei und bei Spendern weiter an Rückhalt. Einer Umfrage zufolge sprechen sich 56 Prozent der befragten Parteianhänger dafür aus, dass der 81-Jährige sich aus dem Rennen zurückzieht. Die demokratische Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi könnte mit ihrer subtilen Distanzierung von Biden die Tür für einen solchen Rückzug geöffnet haben.
Biden muss sich seit seinem katastrophalen Auftritt beim TV-Duell gegen seinen republikanischen Herausforderer Donald Trump (78) Fragen zu seiner geistigen Fitness gefallen lassen. Auf Kritik reagiert er jedoch trotzig. Einen Ausstieg aus dem Rennen schließt er bisher vehement aus.
Bisher ist eine Rebellion in seiner Partei ausgeblieben. Aber es vergeht kein Tag, an dem sich nicht weitere Demokraten oder Unterstützer mit Zweifeln an Bidens Kandidatur zu Wort melden. Die Demokraten befürchten, dass die Republikaner nach der Wahl im November im Weißen Haus und im Kongress die Kontrolle erlangen könnten. Denn neben dem Präsidentenamt werden auch viele Sitze im Parlament neu vergeben. Das gesamte Repräsentantenhaus wird neu gewählt, im Senat steht ein Drittel der Sitze zur Wahl.
Und so sind es auch vor allem demokratische Abgeordnete in umkämpften Wahlkreisen, die sich offen gegen Biden ausgesprochen haben. Sie befürchten, dass die schwindende Unterstützung für den US-Präsidenten auch sie mit in den Abgrund reißen könnte.
Noch hat sich keine kritische Masse gegen Biden gestellt. Öffentlich haben ihn gut zehn Parlamentarier zum Rückzug aufgefordert. Doch schwerer wiegt, was die Biden-Vertraute und mächtige Demokratin Pelosi in einem TV-Interview gesagt hat. In der Sendung „Morning Joe“, angeblich Bidens liebstes politisches Frühstücksfernsehen, sagte die 84-Jährige: „Es liegt am Präsidenten zu entscheiden, ob er kandidiert.“ Sie fügte hinzu: „Wir alle ermutigen ihn, diese Entscheidung zu treffen. Die Zeit wird knapp.“
Auf den Hinweis des Moderators, dass Biden sich ja offensichtlich schon entschieden habe, im Rennen zu bleiben, reagierte Pelosi ausweichend. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass die Profi-Politikerin sich einfach nur unglücklich ausgedrückt hat. Sie dürfte genau wissen, was sie tut – und ihr Wort hat in der Partei enormes Gewicht.
Hinzu kommen Berichte, dass sich auch der demokratische Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer, offen für eine Biden-Alternative zeigt. Wenn politische Schwergewichte wie Pelosi und Schumer das Vertrauen in Biden verlieren, steht der mit dem Rücken zur Wand.
Hollywood gilt generell als eher liberal – kein Wunder also, dass Biden dort deutlich mehr Unterstützung hat als Trump. Mit Wucht schlug daher eine Abrechnung von Filmstar George Clooney in der „New York Times“ ein. Er forderte den Präsidenten auf, sich zurückzuziehen. Ein Kampf, den er nicht gewinnen könne, sei der gegen die Zeit. Erfolgsregisseur und Produzent Rob Reiner („Harry und Sally“) schloss sich an: „Joe Biden muss Platz machen.“ Laut dem Portal „Politico“ soll Clooney vor dem Verfassen seines Meinungsstücks Kontakt zu Ex-Präsident Barack Obama gehabt haben. Der habe ihn zwar nicht ermuntert, aber auch nicht versucht, Clooney von einer Veröffentlichung abzuhalten.
Vergangene Woche gab es bereits Berichte, dass eine wohlhabende Disney-Erbin ihre finanzielle Unterstützung für die Partei so lange zurückhalten wolle, bis Biden sich aus dem Rennen um die Präsidentschaftskandidatur zurückzieht. Die „New York Times“ berichtete, dass eine wachsende Zahl von Großspendern einen Ersatzkandidaten fordert.
Biden und sein Team argumentieren immer wieder, dass die Debatte nichts an den Umfragen geändert habe. Das stimmt so nicht ganz. Biden lag bereits vor der Debatte in vielen Befragungen leicht hinter Trump. Seit der Debatte hat sich der Abstand in einigen Umfragen etwas vergrößert. Er liegt aber häufig noch im Bereich der Fehlertoleranz. Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos sieht Trump und Biden mit jeweils 46 Prozent gleichauf. Der Befragung zufolge sind aber 67 Prozent der US-Amerikaner und 56 Prozent der Anhänger der Demokraten der Auffassung, dass Biden das Handtuch werfen sollte.