München – Florian von Brunn sieht am Donnerstag nicht so aus, als habe er in der Nacht viel geschlafen. Der Aufstand seiner SPD-Fraktion am Vorabend (wir berichteten in einer Teilauflage) hatte den Fraktionsvorsitzenden überrascht. Aber als geprügelter Hund will er nicht gehen. Lange hat keine Pressekonferenz der Bayern-SPD ein so großes Medieninteresse auf sich gezogen. Als der 55-Jährige im Maximilianeum vor die Kameras tritt, hat er sich sein Vorgehen sorgfältig überlegt. Als Fraktionschef tritt er nicht zurück, aber bei den Neuwahlen am kommenden Dienstag nicht mehr an. Ein feiner Unterschied, der noch wichtig wird. Und als Parteivorsitzender will er zumindest vorerst im Amt bleiben. Er brauche Zeit zum Nachdenken, sagt er.
In Fraktion und Partei gab es schon länger Unmut. Vor drei Wochen berichtete unsere Zeitung darüber. In der Debatte am Mittwoch brachten Abgeordnete verschiedenste Vorwürfe gegen von Brunn vor. Es ging um organisatorische Schwächen, autoritären Führungsstil und fehlende Teamfähigkeit, berichten Teilnehmer. Dabei entwickelte sich eine Eigendynamik – bis elf Abgeordnete von Brunn das Vertrauen entzogen. Nur vier stützten ihn, zwei enthielten sich.
Gestritten wurde auch über einen arbeitsrechtlichen Fall: Ein leitender Mitarbeiter habe sich mehrere 10000 Euro für Überstunden ausgezahlt. Der BR berichtete darüber, und am Donnerstag rückt von Brunn den Fall vor der Presse in den Mittelpunkt. Er gibt den Aufklärer, stellt die Fraktion als Bremser dar. „Ich habe mich sehr klar ausgesprochen für eindeutige arbeitsrechtliche Konsequenzen, dem ist der Fraktionsvorstand in der Mehrheit nicht gefolgt.“ Er halte es für „dringend notwendig“, dass der neue Vorstand auch strafrechtlich vorgehe.
Unter Abgeordneten wie Mitarbeitern kommt von Brunns Auftritt gar nicht gut an. Es handele sich um einen Nebenschauplatz, heißt es. Die Parlamentarische Geschäftsführerin habe die Gelder an den Mitarbeiter abgezeichnet. Dieser habe die Auszahlungen auch nicht persönlich vorgenommen. „Dass von Brunn damit auf dem Rücken von Mitarbeitern, die sich in der Öffentlichkeit nicht wehren können, von seinem tiefgreifenden Vertrauensverlust in seiner Fraktion abzulenken versucht, ist eine weitere Bestätigung dafür, dass ein Neuanfang an der Spitze der Fraktion politisch und menschlich dringend erforderlich ist“, schimpft der Abgeordnete Volkmar Halbleib. „Das ist ein reines Ablenkungsmanöver“, sagt auch sein Kollege Holger Grießhammer, der kein grobes Fehlverhalten des Mitarbeiters erkennen kann. Das habe der Fraktionsvorstand auch in einer siebenstündigen Sitzung festgehalten.
Grießhammer sitzt erst seit Herbst im Landtag, aber sein Wort hat unter den 17 Abgeordneten Gewicht. Großes sogar. Der 42-Jährige will von Brunn als Fraktionschef beerben. Offenbar zeichnet sich kein Gegenkandidat ab.
Unterschiedlicher könnte die Lebensläufe der beiden Politiker kaum sein: Von Brunn, geborener Münchner, studierte erst Philosophie, dann Neuere Geschichte. Jahrelang war er wissenschaftlicher Mitarbeiter eines Bundestagsabgeordneten, bis er in den Landtag einzog. Grießhammer dagegen kommt vom Land, aus dem Landkreis Wunsiedel. Nach dem Hauptschulabschluss machte er eine Malerlehre und seinen Meister. Er gründete einen Malerfachbetrieb und eine Familie mit fünf Kindern. Nebenbei fand er noch Zeit für die Kommunalpolitik und schließlich die Landtagskandidatur.
Das Problem: Den allermeisten Bayern ist Grießhammer unbekannt. Während von Brunn darauf setzt, alle Ämter zu bündeln, bevorzugt Grießhammer eine breite Aufstellung. „Mehr wir, weniger ich“, sei sein Motto, sagt er gegenüber unserer Zeitung. Er habe keinerlei Ambitionen auf den Parteivorsitz. Am Abend wollte das Parteipräsidium über das weitere Vorgehen beraten. Die wahrscheinlichste Variante: Neuwahlen bereits im Oktober.
Ob von Brunn sich darauf einlässt? Als Fraktionschef ist er nicht zurückgetreten. Er pocht auf die Geschäftsordnung, die erst nach zweieinhalb Jahren Neuwahlen vorsieht. Wer früher wählen will, müsse also die Satzung ändern, mit einer Zweidrittelmehrheit. „Wir sind ja keine Bananenfraktion“, sagt von Brunn. Falls die Zwei-Drittel-Mehrheit verfehlt würde, bliebe von Brunn theoretisch im Amt. „Aber ob das dann noch Sinn macht, weiß ich nicht.“
MIKE SCHIER