Wissings EM-Rüffel für die Bahn

von Redaktion

Hochbetrieb auf deutschen Bahnhöfen: Trotz deutlich erhöhten Aufwands konnte die Bahn die EM-Belastung nicht immer stemmen. © dpa/Soeder

Berlin – Als seien die Schlagzeilen nicht schon unerfreulich genug, blieben am Dienstag auch noch prominente Passagiere auf der Strecke. Die niederländischen Fußballer, die von Wolfsburg nach Dortmund per Zug hätten reisen wollen, mussten kurzfristig aufs Flugzeug umsteigen. Ein Gleis war blockiert, eine alternative Route kam auch nicht infrage. Auf der war kurz zuvor der Verkehr eingestellt worden, weil ein Zug ein Tier erfasst hatte.

Am Ende trafen die Fußballer so spät am Halbfinalort ein, dass die obligatorische Pressekonferenz abgesagt werden musste – die Bahn bekam die größtmögliche Aufmerksamkeit. Im konkreten Fall war das schlicht Pech, aber die Episode passt zu dem insgesamt recht unglücklichen Bild, das das Unternehmen in den EM-Wochen abgegeben hat. Statt sich den internationalen Gästen als zuverlässiger, komfortabler Logistikpartner zu präsentieren, offenbarten sich all die Defizite, die die Deutschen bei ihrer Bahn schon lange kennen. Österreichs Kicker, deren Zug ebenfalls ausfiel, bekamen sie genauso zu spüren wie Turnierdirektor Philipp Lahm, der zu einem Spiel verspätet erschien. Ganz zu schweigen von den vielen Fans, die ewig auf ihre Züge warteten und im besten Fall mit Unmut, im schlimmsten mit beißendem Spott in den Sozialen Medien reagierten.

Nicht nur die Bahn selbst musste einräumen, dass da einiges zusammengekommen ist („Wir waren nicht auf der Höhe“). Am Freitag bestätigte auch der Verkehrsminister, was längst offensichtlich war. Aus Sicht von Volker Wissing (FDP) hat sich das Unternehmen zu viel zugemutet. „Was den Fans teilweise widerfahren ist, entspricht nicht dem Anspruch Deutschlands und nicht dem Anspruch, den ich an unsere Verkehrsinfrastruktur habe“, sagte er der „Welt am Sonntag“. „Mit der Ankündigung, während der EM täglich 10 000 zusätzliche Sitzplätze im Zugverkehr zur Verfügung zu stellen, hat sich die DB übernommen.“ Sicher sei die Absicht dahinter gut gewesen, aber letztlich erwies sie sich als utopisch. Das marode, über viele Jahre kaputtgesparte Netz konnte in seinem aktuellen Zustand die zusätzlichen Kapazitäten nicht bewältigen.

Hinzu kam ein Faktor, auf den selbst das beste Unternehmen keinen wirklichen Einfluss hat: das Wetter. Der häufige Starkregen in den ersten Turnierwochen habe die Situation noch verschärft, musste Wissing einräumen: „Für solche Extremwetterlagen ist das Netz nicht ausgelegt, weil die Entwässerungssysteme diese Wassermassen nicht aufnehmen können.“

Bahn-Infrastrukturvorstand Berthold Huber verteidigt den eigenen Konzern zwar, aber letztlich bestätigt er den Eindruck nur: Mehr war nicht drin. „Wir haben wirklich alles getan, was man tun konnte. Wir haben alle Baustellen, die nicht nötig gewesen sind, verschoben, abgesagt, um die Infrastruktur zumindest so wenig beeinträchtigt zu haben, wie es geht“, sagte er dem Deutschlandfunk. Manchmal käme zum Pech aber auch noch Unglück. „Wir hatten dann ja das Hochwasser, was uns vor allem zwischen Würzburg und Nürnberg einen Damm mehr oder weniger weggespült hat.“

So misslich die Situation aber ist, so sehr bestätigt sie den Handlungsbedarf. Eines habe die EM deutlich gemacht, betont Huber: „Dass die Infrastruktur deutlich an der Grenze ihrer Belastbarkeit ist, vielleicht sogar darüber hinaus.“

Der Verkehrsminister kündigt Besserung an. Und wie zum Beleg, dass sich selbst im Land der verspäteten Züge etwas rührt, beginnt am Montag die Sanierung der sogenannten Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim – einer von 41 stark frequentierten Korridoren, die in den kommenden Jahren runderneuert werden sollen. Dafür werden die Strecken für die Bauarbeiten über Monate vollständig gesperrt. Auf die Fahrgäste kommt also zunächst weitere Belastung zu. Doch sobald die Riedbahn fertig sei, würden Fahrgäste Verbesserungen im gesamten Schienenverkehr spüren, verspricht Wissing.

Die Bauindustrie hat indes Zweifel, ob alle Strecken bis 2031 modernisiert sein werden. „Die Unternehmen können bis heute noch keine realistische Kapazitätsplanung machen, da Politik und DB sich nicht einig sind“, moniert der Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie, Tim-Oliver Müller, in der „Welt am Sonntag“. Er sei sich „sehr sicher“, dass es auch hier zu Verspätungen kommen wird.
MIT DPA

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