Nach und nach haben sie sich verabschiedet: die Schotten in ihren Röcken, die nach links, nach rechts hüpfenden Holländer. Jetzt sind wir Deutsche wieder alleine mit uns. Hinterlassen haben die Gäste überwiegend nette Worte: Es war angenehm hier. Abzüge gab es für das Wetter, die Bahn, das „shithole“ Gelsenkirchen. Aus internationaler Sicht hat Deutschland die Erwartungen an ein Fußballturnier erfüllt, es war eine solide Europameisterschaft, wie es schon einige gab: 1996 England, 2000 Niederlande/Belgien, 2004 Portugal, 2008 Österreich/Schweiz, 2016 Frankreich. Eine EM findet – anders als ihr großer Bruder, die Weltmeisterschaft – meist dort statt, wo Strukturen gefestigt sind und Organisation kein außerzivilisatorisches Abenteuer ist.
Das erträumte „Sommermärchen 2.0“ war die EURO 2024 nicht. Bei der WM vor 18 Jahren hatte alles eine größere Wucht. Die WM 2006 war ein allseitiges Erweckungserlebnis. Die Welt hatte den Deutschen nicht diese Offenheit, Freundlichkeit, Gelassenheit zugetraut, die Deutschen sich selbst auch nicht, sie staunten über die Entdeckung ihres Potenzials. Sie mögen sich nun gefragt haben, ob dieses Bild von damals noch Gültigkeit hat oder ihre Gesellschaft verhärtet ist infolge politischer Verwerfungen und sich das wieder reparieren lässt durch die neuerliche Aufgabe, Gastgeber der Welt zu sein. Auch ging es darum, ob eine Gesellschaft, die sich als gespalten wahrnimmt, noch eine letzte Gemeinsamkeit finden kann. Fußball, die eigene Mannschaft? Ja, das hat funktioniert. Die Erzählung von sehr unterschiedlichen Typen, die es schafften, den Teamgedanken über individuelle Befindlichkeiten zu stellen, verfing. Deutschland gefiel diese Gruppe, die nicht missionieren wollte und deren Thema die sportliche Leistung war. Allerdings: Das Turnier 2024 endete in der stillen Abreise eines Viertelfinal-Verlierers aus der fränkischen Provinz, wohingegen 2006 den Schlussakkord eines am Brandenburger Tor feiernden stolzen WM-Dritten erlebte. 2024 wird nicht so laut nachhallen.
18 Jahre liegen zwischen den beiden deutschen Fußball-Sommern, die Zeit, in der aus einem Neugeborenen ein erwachsener Mensch wird. Der Fußball ist entsprechend gewachsen. Die EM 2024 hat gezeigt, dass 2006 vieles richtig gemacht wurde. Die seinerzeit er- und hergerichteten Stadien tragen den Fußball noch immer, und obwohl er durch Wellentäler gehen musste, ist er von verlässlicher Größe, wenn es darauf ankommt. So gesehen: 2024 ist die Bestätigung von 2006. Die WM war mustergültig nachhaltig. Guenter.Klein@ovb.net