Das Attentat auf Donald Trump hat die USA in einen kollektiven Schockzustand versetzt – aber auch teilweise vereint. Denn zahlreiche führende Politiker von beiden großen Parteien fanden die richtigen Worte und einen Konsens für den nur knapp gescheiterten Mordversuch: Gewalt darf keinen Platz in der politischen Auseinandersetzung haben. Dennoch hat der seit Langem erkennbare Verfall der Sitten im erbittert geführten Wahlkampf vermutlich zu den Schüssen auf den Ex-Präsidenten beigetragen. Denn wenn sich beide Kandidaten immer wieder gegenseitig mit maximal eskalierter Tonart als Gefahr für die Demokratie beschimpfen, dann heizt dies die Stimmung unter den Unterstützern so an, dass die Hemmschwellen für gewalttätigen Aktionismus herabgesetzt werden. Der beste Beweis dafür ist, dass in Sozialen Medien zahlreiche Menschen nun unverhohlen beklagen, dass Trump überlebt habe.
US-Präsident Biden, in den letzten Wochen auch von Teilen der eigenen Partei als amtsunfähig charakterisiert, fand erstaunlich schnell die richtigen Worte: „Krank“ sei es, einen Politiker ermorden zu wollen. In der Tat darf Hass nicht zur treibenden Kraft im Wahlkampf werden – und mit etwas weniger Glück wäre Donald Trump jetzt tot. Für die US-Demokraten ist das Attentat aber ebenfalls eine schlechte Nachricht. Trump wird in den kommenden Wochen eine massive Solidarisierungsbewegung von jenen erleben, die ihn – verglichen mit dem schwächelnden Biden – nun als „Teflon Trump“-Supermann ansehen, den nichts und schon gar nicht eine Kugel aus der Bahn werfen kann.
Hätte der Schütze getroffen, wären die USA jetzt nahe am Ausnahmezustand
Gleichzeitig wird es extrem kritische Fragen an den Secret Service geben, die auch den unvermeidlichen Verschwörungstheorien Vorschub leisten dürften. Wie konnte es möglich sein, dass der Attentäter auf ein Dach nicht weit von der Bühne entfernt mit einem Gewehr kriechen konnte? Warum war dieses Dach nicht gesichert, und warum reagierten die örtliche Polizei und Bodyguards nicht auf Hinweise von Zeugen, die nach eigenen Angaben minutenlang auf den dort lauernden Schützen hingewiesen hatten?
Unabhängig von der wichtigen Klärung der Fragen, in welchem Umfang die Sicherheitsbeamten versagt haben und wie der degenerierte politische Diskurs in den USA zum Attentat beigetragen hat, muss aber erneut das Problem des weitgehend unregulierten Waffenbesitzes thematisiert werden. Jeder, der nicht wegen eines Verbrechens vorbestraft ist, kann in einem Waffenladen ein Gewehr mit Zielfernrohr und Munition erwerben – und theoretisch versuchen, einen ungeliebten Politiker zu eliminieren. Seit Jahrzehnten hat der US-Kongress versagt, hier mit schärferen Gesetzen und Käufer-Überprüfungen gegenzusteuern. Es ist angesichts der Geschehnisse in Pennsylvania bittere Ironie, dass nun ausgerechnet ein prominenter Kandidat der Republikaner, die zu den wichtigsten Propagandisten eines unregulierten Waffenbesitzes gehören, einen Mordversuch nur knapp überlebte. Hätte der Schütze seine tödliche Absicht realisiert, wären die USA jetzt vermutlich nahe an einem Ausnahmezustand – mit nicht absehbaren Folgen für die Politik und die Gesellschaft. Politik@ovb.net