„Der soziale Frieden ist in Gefahr“

von Redaktion

Paradoxe Lage: Offene Stellen gibt es genug, zugleich aber steigt die Zahl der Bürgergeldempfänger. Die Ampel-Regierung will die Regeln nun verschärfen. © Jens Kalaene/dpa

München – Mehr Mitwirkungspflichten, weniger Schonzeit: Anderthalb Jahre nach Einführung will die Ampel beim Bürgergeld nachjustieren. Während der linke Teil der Koalition Schmerzen leidet, frohlockt FDP-Fraktionschef Christian Dürr gerade, die neuen Regeln seien teils härter als bei Hartz IV. Die Union lässt sich aber so gar nicht begeistern. „Was die Ampel an Verschärfungen angekündigt hat, reicht mir nicht aus“, sagt Bayerns Arbeitsministerin Ulrike Scharf (CSU) unserer Zeitung. Das Bürgergeld hält sie gar für eine Gefahr für den sozialen Frieden.

Dass CDU und CSU ihre Probleme mit dem Hartz-IV-Nachfolger haben, ist bekannt. Vor der Einführung gab es lange Debatten, besonders über die Schärfe der Sanktionen. Erst ein Vermittlungsausschuss führte zur Einigung, schließlich stimmte die Union zu. Zuletzt mäkelte sie wieder verstärkt am Konzept herum.

„Unser Sozialstaat ist stark und ich lege viel Wert darauf, dass wir denjenigen helfen, die unsere Hilfe brauchen“, sagt Scharf nun. Wahr sei aber auch: „Die Zahl der Menschen, die in Bürgergeld gerutscht sind, ist wahnsinnig hoch und es werden immer mehr. Wir müssen schauen, dass unser Sozialstaat nicht selbst zum Sozialfall wird.“

Die Entwicklung ist ein Stück weit paradox. Betriebe im ganzen Land suchen händeringend Fachkräfte, zugleich ist der Anstieg bei den Leistungsempfängern nicht wegzudiskutieren. Bundesweit zählt sie Statistik 5,548 Millionen, Stand März 2024 – im Mai 2022 waren es noch 4,883 Millionen. Ähnlich sind die Verhältnisse in Bayern: Seit Mai 2022 stieg die Zahl der Empfänger um rund 90 000, von 355 791 (Mai 2022) auf exakt 454 911 (März 2024). Hier wie dort entspricht das Plus in etwa der Zahl der Ukrainer, die seit ihrer Flucht aus dem Kriegsland hier Bürgergeld beziehen. Bundesweit sind das 722 249 sogenannte Bedarfsgemeinschaften, also zum Beispiel Familien; in Bayern 91 451 (je Stand März 2024).

Die Debatte um die Ukrainer kocht immer wieder hoch, besonders aus der CSU kamen zuletzt scharfe Forderungen nach Korrektur. Tenor: Neuankömmlinge aus dem Kriegsland sollten künftig kein Bürgergeld mehr bekommen, sondern Asylbewerberleistungen. Scharf schließt sich dem an. „Dass die Ukrainer sofort zu 100 Prozent in der Sozialgesetzgebung sind, ist der falsche Weg“, sagt sie. Statt, wie in anderen Aufnahmeländern, gleich zu arbeiten, nähmen hierher geflüchtete Ukrainer oft lieber das Bürgergeld. Selbst der „Jobturbo“ von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil war eher mäßig erfolgreich. Statt der erhofften 200 000 Ukrainer fanden nur 33 000 einen Job. Scharf sagt, Heil habe keinen Turbo gezündet, „sondern höchstens einen alten stotternden Zweitaktmotor“.

Den Anstieg der Empfängerzahlen will Scharf allerdings nicht nur mit den Ukrainern erklären – sondern mit einem Konstruktionsfehler des Bürgergelds. Es schaffe falsche Anreize, sagt sie und plädiert dafür, mehr nachzujustieren, als die Ampel es jetzt plant.

Etwa beim Schonvermögen. Bisher gilt: Bürgergeldbezieher dürfen im ersten Jahr bis zu 40000 Euro besitzen, ohne dass der Staat das Geld antastet. Für jede weitere Person in einer Bedarfsgemeinschaft kommt noch mal ein Freibetrag von 15000 Euro obendrauf. Die Bundesregierung will nun die Karenzzeit halbieren, von einem auf ein halbes Jahr. Scharf findet: Man muss auch an die Höhe ran. „Wir haben zu hohe Schonvermögen, das gehört korrigiert“, sagt sie. Über die konkrete Höhe müsse man debattieren, 10 000 bis 15 000 Euro seien aber ein guter Richtwert.

Letztlich geht es auch um Gerechtigkeit, meint die Ministerin. „Wenn eine Mitarbeiterin im Arbeitsamt hört, das jemand 40 000 Euro auf dem Konto hat, ihm aber trotzdem Bürgergeld auszahlen muss, dann stimmt die Fairness nicht mehr“, sagt sie. „Ich glaube wirklich, dass wir große Gefahr laufen, den sozialen Frieden zu sprengen.“

Auch die finanziellen Möglichkeiten der Arbeitsämter seien ein Problem. Gerade in Bayern hält Scharf sie für zu schlecht ausgestattet. Grund hierfür sei nicht zuletzt die niedrige Arbeitslosenquote im Freistaat, die dazu führe, dass Gelder des Bundes in Regionen mit höherer Quote gingen. Die Arbeitsagenturen, sagt sie, könnten „ihre Aufgabe, Menschen in Arbeit zu bringen, gar nicht leisten“. Auch hier müsste ihrer Meinung nach noch mal verhandelt werden.

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