KOMMENTARE

Hoffen auf die nächste Koalition

von Redaktion

Kabinett verabschiedet Haushalt

Es sind 1437 Seiten für Feinschmecker. Den Bundeshaushalt, den das Kabinett gestern auf den Weg brachte, überblicken vermutlich auch im Bundestag, wo er nach der Sommerpause intensiv diskutiert werden soll, nicht alle. Es bleibt bemerkenswert, dass sich die drei Ampel-Parteien unter schwierigen Voraussetzungen und mit sehr unterschiedlichen Prioritätensetzungen auf diesen Kompromiss verständigt haben, der durchaus Positives enthält: vom höheren Kindergeld bis zur Rücknahme heimlicher Steuererhöhungen durch die Kalte Progression.

Trotzdem musste Christian Lindner ganz tief in seiner Trickkiste wühlen, um an der Schuldenbremse festhalten zu können. Munter wurden sechs Milliarden Euro zusätzlicher Steuereinnahmen verrechnet – angeblicher Effekt eines Wachstumspakets, das noch nicht mal beschlossen ist. Dann finden sich 17 Milliarden Euro „globale Minderausgaben“, also eine pauschale Kürzung quer über die Ressorts hinweg. Als Kniff nicht ungewöhnlich, wohl aber in der Dimension (3,5 Prozent des Gesamtetats). Und zudem lässt das Ministerium prüfen, ob sich Zuschüsse an die Bahn und die Autobahngesellschaft auch als Darlehen auszahlen ließen. Hintergrund: Für Darlehen kann man leichter Kredite aufnehmen. Schon jetzt beträgt die Neuverschuldung satte 43,8 Milliarden Euro. Von wegen Sparhaushalt!

Lindner hat – zu Recht – verhindert, dass eine Haushaltsnotlage ausgerufen wurde. Seit Corona hätte man das sonst jedes Jahr tun müssen. Es gibt weiter Einsparpotenzial. Nicht nur beim Bürgergeld, auch der Verwaltung selbst. Der Staat muss mehr Kostenbewusstsein entwickeln und sich entschlacken. Der Normenkontrollrat moniert seit Jahren die „komplizierten Regelungen, verschachtelten Strukturen und vielstufigen Verwaltungsverfahren“. Wer hier ansetzt, hätte mehr Geld für Investitionen. Und hier – bei den beiden Megathemen Verteidigung und Verkehr – springt der Haushalt auch viel zu kurz. Vermutlich wird erst eine neue Koalition die Energie haben, in einem neuen Vertrag die Prioritäten grundsätzlich neu zu ordnen. Die Ampel hat nicht mehr die Kraft. Mike.Schier@ovb.net

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