Nichts geht mehr in Paris

von Redaktion

Unterkühlte Stimmung: Regierungschef Gabriel Attal (l.) bleibt geschäftsführend im Amt. Sein Vertrauen in Präsident Emmanuel Macron (r.) soll aber arg beschädigt sein. © Julien de Rosa/afp

München – Der große Frust ließ nicht lange auf sich warten. Anderthalb Wochen ist es her, dass Frankreichs Linksbündnis überraschend die Parlamentswahlen gewann, doch von der Freude ist kaum mehr etwas übrig. „Ich bin es so Leid, wir geben ein jämmerliches Bild ab“, sagte Marine Tondelier, Chefin der Grünen, gestern dem Sender France 2. „Jede Minute, die wir uns weiter lächerlich machen (…), treibt den Rechtspopulisten Stimmen zu.“

So hart das klingt, so sehr trifft es zu. Eigentlich wollte sich der Nouveau Front Populaire (NFP) schon Ende letzter Woche auf einen Kandidaten für das Amt des Regierungschefs geeinigt haben. Aber die Gemeinsamkeiten sind verbraucht, unter den Partnern herrscht Streit – und er scheint täglich unlösbarer zu werden.

Die Situation ist knifflig: Keine der vier Parteien im Bündnis ist so stark, dass sie einen klaren Anspruch auf den Chefposten hätte. Begehrlichkeiten sind aber da, namentlich bei Sozialisten und Linken. An ihnen scheiterten zuletzt je eine Kompromisskandidatin.

So zog am Wochenende Huguette Bello, Regionalpräsidentin der Inselgruppe La Réunion, ihre Bereitschaft zur Kandidatur zurück und beklagte fehlende Unterstützung der Sozialisten, die Parteichef Olivier Faure nominieren wollten. Anfang der Woche war es die Linke um Parteigründer Jean-Luc Mélenchon, die die Ökonomin und Klima-Expertin Laurence Tubiana ausbremste. Sie sei zu „Macron-kompatibel“, hieß es. Seither verweigern sich Mélenchon und Co. weiteren Gesprächen. Sie werfen den Sozialisten „politische Blockade“ vor. Tatsächlich dürfte der Altlinke Mélenchon selbst auf den Premier-Posten spekulieren. Er ist wegen seiner Affinität zu Autokraten und seines Verständnisses für die Hamas auch im eigenen Lager umstritten. Die Aussichten auf Einigung schrumpfen also, dabei ist die Ausgangslage schon so schwer genug. Keines der Lager in der neuen Nationalversammlung hat eine absolute Mehrheit, was Frankreichs Politiker vor die ungewohnte Aufgabe stellt, Koalitionen bilden zu müssen. Auch das liberale Mitte-Lager von Präsident Emmanuel Macron, das bei den Wahlen auf Platz zwei landete, versuchte in den vergangenen Tagen sein Glück, allerdings weitgehend erfolglos.

Dabei kommt Macron die Zerstrittenheit des linken Bündnisses eigentlich entgegen. Dem Präsidenten schwebt nämlich die Bildung einer breiten Koalition vor, die gemäßigte Linke und Rechte genauso umfasst wie seine Macronisten. Dazu müsste er aber einzelne Parteien aus dem Linksbündnis herauslösen. Dort sieht man den Wunsch nach einer überparteilichen Regierung eher als Versuch Macrons, den Wahlsieg zu stehlen.

Politisch steckt das Land also in der Sackgasse und ein Ausweg ist bisher nicht in Sicht. Der bisherige Premier Gabriel Attal wird die Geschäfte zwar trotz seines Rücktritts vorerst weiterführen. Doch das Vertrauen des 35-Jährigen in Macron ist am Nullpunkt, wie die FAZ berichtet.

Nun drohen Wochen des Stillstands. Eine geschäftsführende Regierung kann zwar nicht per Misstrauensvotum gestürzt werden – genauso wenig kann sie aber große Projekte anstoßen. Sie ist quasi zum Verwalten verdammt, der Zustand könnte sich bis Herbst hinziehen. Eine Frist zur Ernennung eines neuen Premiers gibt es nämlich nicht. Schon jetzt heißt es, während der Olympischen Spiele in Paris dürfte nichts passieren. Sie enden im August. Irgendwann aber muss der neue Haushalt verabschiedet werden. Eine stabile Regierung wäre da nicht schlecht.

Immerhin: Ganz in Trance ist der politische Betrieb nicht. Heute soll sich die neue Nationalversammlung konstituieren. Auf dem Programm steht auch die Wahl einflussreicher Posten, etwa des neuen Vorsitzenden des Parlaments. Hier einigte sich das Linksbündnis auf einen Kommunisten, André Chassaigne (74). Auch die Fraktionen müssen sich neu aufstellen. Bei den Bündnissen von vor der Wahl muss es dabei nicht bleiben.

Die Franzosen selbst nehmen die Hängepartie bisher sehr unterschiedlich auf. Umfragen zeigen: Etwa die Hälfte sorgt sich, die andere Hälfte nicht.

Interessant: Beim Rassemblement National, das nur durch eine breite Allianz anderer Parteien am Wahlsieg gehindert worden war, entwickelt man derzeit ganz eigene Ideen. In einem Interview sagte Marine Le Pen gerade, die Verfassung sehe durchaus einen Ausweg aus der politischen Krise vor: den Rücktritt des Präsidenten.
MIT AFP

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