Mein großer Freund Joe: Biden und Scholz 2023 beim G7-Gipfel im japanischen Hiroshima. © dpa
Berlin – Zwischen Joe Biden und Olaf Scholz liegen elf Monate. Nicht, was das Alter angeht, da trennen die beiden Regierungschefs – 81 und 66 – deutliche 15 Jahre. Aber als Scholz Kanzler wurde, war Biden gerade elf Monate im Amt. Die Endphase der Pandemie, der russische Angriff auf die Ukraine, der G7-Gipfel in Elmau – sie haben seither einiges miteinander durchlebt. Scholz, der nicht für besondere Gefühlsduselei bekannt ist, nennt Biden seinen „Freund“. Der Demokrat habe viel erreicht für sein Land, für Europa, die Welt: „Dank ihm ist die transatlantische Zusammenarbeit eng, die Nato stark, die USA ein guter und verlässlicher Partner für uns.“ Auch in kleineren Runden mit Journalisten lässt Scholz keine Zweifel aufkommen, dass er trotz dessen wiederkehrender Aussetzer von der Verlässlichkeit des erfahrenen Amerikaners überzeugt ist.
Nun ist klar: Der Freund des Kanzlers wird spätestens im kommenden Jahr nicht mehr im Weißen Haus sitzen. Ob es stattdessen Donald Trump ist, Kamala Harris oder ein anderer Demokrat – das ist im Moment völlig offen.
Die Unsicherheit, was auf den europafreundlichen Biden-Kurs folgen wird, ist spürbar in der deutschen Politik. „Es gab wahrscheinlich noch nie einen US-Präsidenten, der aus eigener Verbundenheit heraus die EU-Institutionen und den ‚alten‘ Kontinent insgesamt so ernst genommen hat“, bringt der Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung, Michael Link (FDP), die Sorgen auf den Punkt. Fast schon wehmütig klingen die Worte des grünen Vizekanzlers Robert Habeck, Biden habe sich „ein halbes Jahrhundert für die Demokratie, fürs Land, für die Menschen“ eingesetzt. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD), nennt Biden einen „Präsidenten, dem wir in Europa und Deutschland viel zu verdanken haben“.
Er hofft auf die Demokraten, sagt der Minister
Gleichzeitig nährt Bidens Rückzug auch die Hoffnung, dass eine Neuauflage der wohl härtesten Beziehungsprobe im deutsch-amerikanischen Verhältnis seit dem Zweiten Weltkrieg vielleicht noch abgewendet werden könnte. Zumal die Trump-Jahre von 2016 bis 2020 sogar nur ein Vorgeschmack gewesen sein könnten, auf den Druck, den der Republikaner in einer weiteren Amtszeit und angesichts neuer Bedrohungen aus Moskau auf die europäischen Verbündeten ausüben könnte – insbesondere auf Berlin. Doch nun gebe es „die Chance, dass das Rennen offen gestaltet ist“ zwischen dem Republikaner Trump und der Demokratischen Partei, sagt Bundesarbeitsminister Heil im Deutschlandfunk. Er befindet sich gerade auf USA-Reise. Auch wenn sich die Bundesregierung „natürlich auf jeden Wahlausgang“ einstelle: Als Sozialdemokrat hoffe er auf die Demokraten, bekennt Heil offen. Die mögliche Kandidatin Harris sei in der deutschen Regierung „sehr bekannt“ und habe etwa auch an der Münchner Sicherheitskonferenz teilgenommen. Es gebe einen „intensiven Austausch“ auch mit dem Bundeskanzleramt. Die eher weniger sozialdemokratisch vorgeprägte FDP-Europapolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann schickt sogar gut gemeinte Wahlkampftipps über den Atlantik. Die Demokraten müssten nun „den geeigneten Kandidaten oder die geeignete Kandidatin sofort auf den Weg schicken“.
In der Union hält man solche Sympathie-Festlegungen im Vorfeld für einen Fehler. Zumal Trumps Siegchancen nach dem gescheiterten Attentat auf ihn noch einmal gestiegen sind. Um auch Kanäle zu den Republikanern zu beleben, haben CDU und CSU deshalb in der vergangenen Woche eine Delegation zu deren Parteitag nach Milwaukee geschickt. Ex-Minister Jens Spahn (CDU) war dabei, CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und auch die Büroleiterin von CDU-Chef Friedrich Merz. CSU-Chef Markus Söder stellt zudem am Montag fest: „Es steht uns nicht zu, zu sagen, wer der bessere Kandidat ist.“ Stattdessen müsse Deutschland aktiv werden – und zwar mit einem Ausbau der Bundeswehr und einem Aufbau der Wirtschaft. Denn Söder erwartet im Falle einer Trump-Regierung auch neue Zölle auf Autos sowie in den Bereichen Chemie und Maschinenbau.
Auch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hält Hoffnung alleine für das falsche Prinzip. „Unabhängig vom Ausgang der Wahl gilt: Wir müssen mehr in unsere eigene Sicherheit investieren, Europa muss stärker werden.“