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Die große Schwachstelle einer guten Bilanz

von Redaktion

Das Ende der Ära Biden

Die USA erleben Wochen, die in den Geschichtsbüchern einmal dicke Kapitel füllen werden. Erst eine historische TV-Debatte, dann das Attentat auf Donald Trump und jetzt der Rückzug von Joe Biden aus dem Rennen um die Präsidentschaft. Das Tempo ist atemberaubend. Nie zuvor hat ein Amtsinhaber so spät zurückgezogen. Ja, Biden hatte sich störrisch gesträubt, bis der innerparteiliche Druck einfach zu groß wurde. Dennoch sollte man seine Entscheidung nicht kleinreden. Es bleibt eine zwar sehr späte, aber dennoch große Geste, die das Wohl des Landes und der Partei über das eigene Ego stellt. Ein Donald Trump wäre nie auf die Idee gekommen, den Weg für eine jüngere, frischere Nachfolgerin frei zu machen.

Was das alles für den Wahlausgang bedeutet, kann heute niemand seriös prognostizieren. Die Dynamik ist enorm. Eben noch schien Bidens öffentlicher Verfall das bestimmende Thema. Gegenüber einer jüngeren Nachfolgerin könnte plötzlich die Egozentrik und Unberechenbarkeit des auch schon 78-jährigen Trump wieder ins Zentrum rücken. Das wäre der Moment, in dem die Demokaten auf die Bilanz der vierjährigen Biden-Administration verweisen sollten, die sich in weiten Teilen sehen lassen kann. Außenpolitisch agierte er mit ruhiger Hand gegen die russische Aggression, innenpolitisch setzte er auf eine progressive Klima-, Wirtschafts- und Sozialpolitik mit Augenmaß. Aus US-Sicht macht selbst der protektionistische Ansatz für die heimische Wirtschaft gegenüber China und Europa Sinn. Wenn die Demokraten darauf die Kampagne des neuen Kandidatenpaars – Präsident(in) und Vize – aufbauen, dürften sie inhaltlich große Unterstützung haben.

Doch es bleibt eine große Baustelle, die Biden hinterlässt. In der Migrationspolitik agierte die Administration erst liberal, dann ziellos – um schließlich zu Beginn des Wahljahrs eine 180-Grad-Wende hinzulegen. Eine schöne Vorlage für Trump, denn wie in Europa treibt das Thema auch in den USA viele um. Und hier treffen sich die größten Schwachstellen der Demokraten mit Blick auf November. Denn zuständig für die Migrationspolitik war ausgerechnet diejenige, die jetzt Biden folgen möchte: Vize-Präsidentin Kamala Harris. Mike.Schier@ovb.net

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