Der Rückhalt wächst, der Druck auch

von Redaktion

Im Wahlkampf-Hauptquartier in Wilmington zeigt sich die wahrscheinliche Präsidentschaftskandidatin der US-Demokraten, Kamala Harris, mit ihrem Mann Douglas Emhoff. © Erin Schaff/afp

München – In Washington gibt es ein altes Sprichwort, an das man gerade jetzt durchaus mal erinnern kann. Es geht so: Für einen Präsidentschaftskandidaten gibt es keinen besseren Tag als Tag eins nach der Kür. Im Falle von Kamala Harris (59) war das der Montag – und er lief, wie das Sprichwort es will, ziemlich gut für sie.

Die US-Vizepräsidentin nahm bis dahin nicht nur gut 100 Millionen Dollar an Wahlkampfspenden ein; und das zum großen Teil von Menschen, die vorher noch nie Geld für eine Kampagne gegeben hatten. Sie hat wohl auch die Delegiertenstimmen zusammen, die sie braucht, um beim Parteitag der Demokraten vom 19. bis 22. August in Chicago nominiert zu werden.

Und, besonders wichtig: Der Wechsel von Joe Biden auf Harris hat die ermattete Partei und ihre Unterstützer aufgerüttelt. Prominente wie Schauspieler George Clooney oder Musik-Star Beyoncé stellen sich hinter die 59-Jährige, auch wichtige Firmenchefs. Der Mitgründer des Netzwerks LinkedIn, Reid Hoffman, schrieb: „In unserem Kampf für die Demokratie unterstütze ich Kamala Harris und ihre Kandidatur von ganzem Herzen.“ Roger Altman, Gründer der Investmentbank Evercore und Großspender der Demokraten, sagte: „Die Stimmung an der demokratischen Basis hat sich von entmutigt zu begeistert gewandelt.“

Es sind Signale der Erleichterung aus dem demokratischen Umfeld, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Auf einmal ist die Hoffnung da, in diesem Wahlkampf, der zeitweise schon verloren schien, doch noch mal die Kurve zu kriegen. Um das Momentum nicht zu gefährden, beeilt sich die Partei, die Reihen möglichst schnell und lückenlos zu schließen. Auch Nancy Pelosi sprach sich inzwischen für Harris aus – weitere Parteigrößen folgten der 84-Jährigen.

Die frühere Mehrheitsführerin des Repräsentantenhauses hat noch immer viel Einfluss bei den Demokraten und soll auch die Strippen hinter Bidens Verzicht gezogen haben. Dass sie zunächst mit ihrer öffentlichen Unterstützung für Harris zögerte, fiel auf. Letztlich soll der Black Caucus, die Gruppe schwarzer Demokraten im US-Parlament, Druck auf Pelosi gemacht haben – erfolgreich. Auch die Parteilinke Alexandria Ocasio-Cortez sagte Harris Unterstützung zu. Die zwei Demokraten-Führer im Kongress, Hakeem Jeffries und Chuck Schumer, halten sich indes weiter zurück, genau wie Ex-Präsident Barack Obama.

Nach wie vor gibt es Zweifel daran, ob Harris den Republikaner Donald Trump im November besiegen kann. Die Vize-Präsidentin soll darum am Sonntag stundenlang mit wichtigen Parteifreunden telefoniert und für sich geworben haben – auch um mögliche Konkurrenten innerhalb der Partei auszubremsen, wie CNN berichtet. Manche hatten auf ein offenes Verfahren mit mehreren Bewerbern beim Parteitag gehofft. Das Risiko eines Machtkampfs schien dann aber doch zu groß.

Der Druck auf die wahrscheinliche Kandidatin ist nun gewaltig. Sie muss die Euphorie frisch halten und einen gewaltigen Kampagnenapparat übernehmen. Vor allem aber muss Harris, die nicht als große Rednerin gilt, sich in Interviews gerne mal verhaspelt und inhaltlich bisweilen wenig standhaft wirkt, nun einen Wahlkampf führen, den die Demokraten zum Kampf um die Demokratie erklärt haben. Bis zum Wahltag bleiben ihr etwas mehr als 100 Tage.

Die Republikaner feuern spätestens seit Montag aus allen Rohren. Senator JD Vance, Trumps Vize-Kandidat, wirft Harris vor, jahrelang über den Gesundheitszustand von Präsident Biden gelogen zu haben. Außerdem sei sie mitverantwortlich für dessen Politik, Harris sei „eine Million Mal schlimmer als Biden“.

Experten glauben, das Team Trump werde versuchen, Harris als superlinks und „woke“ darzustellen und ihr, zwischen den Zeilen, wegen ihrer indisch-jamaikanischen Abstammung die Eignung als Präsidentin abzusprechen. Trump, der nach dem Attentat fast ein wenig geläutert schien, bezeichnete Harris am Montag als „bösartig und dumm“.

Den Sound kennt man. Dass auch die Demokratin den Ton verschärfen will, zeigt sie bei einem Auftritt vor Wahlkampfhelfern. Als Generalstaatsanwältin von Kalifornien habe sie mit Verbrechern aller Art zu tun gehabt, sagt sie, Missbrauchstätern, Betrügern, Regelbrechern. „Hört mir also zu, wenn ich sage, dass ich Typen wie Donald Trump kenne.“

Wie groß Harris‘ Chancen sind, ist trotz allem schwer zu sagen. Bisher lag sie in Umfragen konstant hinter Trump, neue Werte werden Ende der Woche erwartet. Sie dürften einen ersten Hinweis darauf geben, ob die Demokraten-Euphorie auch auf die Wähler abfärbt. In der Partei hofft man, dass Harris Frauen, Unentschlossene und Wechselwähler auf ihre Seite ziehen kann. Auf sie wird es am Ende ankommen.

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