Der Ärger um Bayerns Familiengeld

von Redaktion

Hohe Millionensummen fließen an Kinder im EU-Ausland: Das ist noch zu wenig, findet Brüssel

München – Sie haben genau hingeschaut in Brüssel. Und in Bayern die „Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Ausführung der Sozialgesetze“ gefunden. Hier, tief in den Paragrafen, steckt die anstößige Tabelle. Darin listet Bayerns Sozialministerium 15 EU-Staaten auf, in die ein niedrigeres Familiengeld überwiesen werden soll. Eher moderat die Kürzung für Estland (von 250 auf 187,50 Euro), schon kräftiger für Rumänien (auf 125 Euro). Die EU-Kommission in Brüssel findet: unfair, diskriminierend. Und kündigt Klage an.

Das ist der Kern der Debatte, die am Donnerstagabend in der Landespolitik eingeschlagen hat. Die EU-Kommission hat bekannt gegeben, dass sie Deutschland (stellvertretend für Bayern) vor dem Europäischen Gerichtshof verklagen will. Tenor: Bayern dürfe das Familiengeld nicht nach Ländern staffeln: gleiches Geld für gleiche Bürger. Die Klage mag nun Monate bis Jahre dauern, doch sie kann Wucht entfalten. Deutschland muss eine hohe Geldstrafe fürchten. Österreich wurde in einer ähnlichen Konstruktion bereits verknackt.

Der Eklat hatte sich abgezeichnet. Seit Jahren monierte die Kommission eine „Diskriminierung von mobilen Beschäftigten“ im bayerischen Familiengeld. Einmal schon gab es Schlagzeilen, das Sozialministerium wehrte sich – passte die früher noch stärker gespreizte Tabelle aber zum Mai 2024 unauffällig an. In München fürchtet man, ganz ohne eine solche Differenzierung ausgenutzt zu werden durch Konstruktionen, in denen ein Familienoberhaupt in Bayern für eine Großfamilie im EU-Ausland vielfach Geld abgreift. Anspruchsberechtigt ist man in den ersten drei Monaten des Aufenthalts im Freistaat, danach nur mit Beschäftigung. Die Kommission ist aber auch mit der aktuellen Fassung der Tabelle nicht zufrieden.

Hinter den Kulissen sei die Aufregung groß, heißt es in München. Dafür spricht, dass sich das sonst sehr mitteilungsfreudige Sozialministerium auch auf mehrfache Nachfrage ahnungslos stellt und nicht sagen mag, in welcher Dimension die bayerische Leistung ins Ausland abfließt. Es dürfte, grob hochgerechnet, bisher eine zweistellige Millionensumme sein. Darauf lassen Zahlen aus den ersten neun Monaten des Familiengelds schließen, in denen 1,46 Millionen Euro für im EU-Ausland lebende Kinder flossen. Da sind längst nicht alle Fälle erfasst, nochmal so viele Bescheide waren offen.

Das Familiengeld gibt es in Bayern seit September 2018. Es gilt für alle ein- und zweijährigen Kinder und beträgt 250 bis 300 Euro pro Monat. In der CSU gab es zwischenzeitlich Überlegungen, Einkommensgrenzen einzuziehen; auch angesichts einer immer knapperen Haushaltslage. Das wurde bisher verworfen. Die Freien Wähler, die vor Herbst 2018 noch in der Opposition waren, hatten übrigens damals in scharfen Worten vor einem Familiengeld-Abfluss ins Ausland gewarnt. Hintergrund war, dass beim Kindergeld (das der Bund regelt) Hinweise auf ungewöhnlich hohe Abflüsse nach Osteuropa aufgetaucht waren.

Die Grünen fordern, die Regeln sofort zu ändern, sonst drohe eine Millionenstrafe. „Der Freistaat steht nicht über dem Gesetz“, sagt Fraktionsvize Johannes Becher. „Der Gleichbehandlungsgrundsatz gilt überall.“ Seit Jahren, spätestens seit einem Urteil des Sozialgerichts Bayreuth, das einem Polen den vollen Satz zusprach, hätte die Staatsregierung die Rechtslage kennen müssen. Der vierfache Vater boxte vor Gericht im Juni 2023 die vollen 300 Euro (statt in diesem Fall 150) durch. Becher hält das Missbrauchsrisiko nicht für groß. Es gehe auch bei Ausländern „um Arbeitnehmer, die hier ganz normal Steuern und Abgaben zahlen“.
CD

Artikel 1 von 11