Protest im oberbayerischen Idyll: In Reichling schieben Greenpeace-Mitarbeiter ein gelbes X an den mutmaßlichen Erdgas-Bohrort. © Stefan Puchner/dpa
Reichling – Auf den ersten Blick ist die oberbayerische Idylle in der Gemeinde Reichling zwischen Lech und Ammersee in Sichtweite der Alpen perfekt. Doch der Schein trügt. Rund 3000 Meter unter den grasenden Kühen vermuten Experten Erdgas. Diese Erkenntnis ist nicht neu, jedoch galt die Förderung bislang als unwirtschaftlich. Dies könnte sich bald ändern. Schon in wenigen Wochen könnten in dem 1711-Einwohner-Örtchen die ersten neuen Erdgasbohrungen in Bayern seit mehr als einem Jahrzehnt beginnen.
Am 26. Juni 2024 hat das Bergamt Südbayern der Firma Genexco Gas die Probebohrung genehmigt. Demnächst soll der Bohrplatz hergerichtet und ein 40 Meter hoher Bohrturm aufgestellt werden. Das Konzessionsgebiet „Lech Ost“ ist mehr als 100 Quadratkilometer groß und erstreckt sich bis zum Ammersee. Im September könnte es losgehen. Doch es gibt Widerstand – nicht nur von Umweltschützern und besorgten Anwohnern. Auch die Kommunalpolitik hat sich vor wenigen Tagen einmal mehr dagegen ausgesprochen. Landrat Thomas Eichinger (CSU) und der gesamte Gemeinderat von Reichling fordern einen Verzicht. Sie fürchten um ihre Heimat und um ihre Gesundheit.
Die Bohrung liegt laut Greenpeace nur rund 150 Meter von einem europäischen Schutzgebiet für bedrohte Tiere und Pflanzen entfernt und 200 Meter neben dem Trinkwasserschutzgebiet. Das nächste Wohnhaus ist 150 Meter entfernt – ein Windrad würde hier wegen der Abstandsregelungen niemals erlaubt. Wie viel Gas hier gefördert werden kann, ist unklar. Laut Greenpeace wird auf ein 500 Millionen Kubikmeter umfassendes Erdgasfeld spekuliert, das 15 Jahre ausgebeutet werden soll.
Eichinger will die Bedenken zu Umwelt, Verkehr, Gesundheit und Klimaschutz jetzt als Protestbrief an Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) schicken. Die Bohrung ist zwar schon genehmigt, jedoch fehlt noch die Fördergenehmigung. Dem Vernehmen nach mangelt es bisher an einem Trinkwasser-Notfallkonzept.
Seit den 50er-Jahren wurden laut Ministerium im bayerischen Alpenland fast 60 Gasfelder entdeckt – viele Vorkommen sind längst ausgebeutet. Bayern konnte in den 70ern 30 Prozent seines Gasbedarfes aus heimischen Lagerstätten decken, inzwischen nur noch circa 0,1 Prozent. Lediglich von der Lagerstätte Inzenham-West bei Rosenheim werde derzeit Erdgas gefördert.
Im Zuge der Energiewende und der Abkehr von russischen Gasimporten ist die Bedeutung von Gas bei der Energieversorgung zwar zurückgegangen – es ist aber nach Mineralöl noch immer der wichtigste fossile Energieträger im Freistaat und deckt knapp ein Fünftel des Primärenergieverbrauchs. Erdgas wird in Deutschland vor allem in der Industrie und zum Heizen verwendet. Mehr als 90 Prozent wird über Gaspipelines importiert.
Im Münchner Wirtschaftsministerium werden neue Gasbohrungen in Bayern nach eigenen Angaben sehr wohlwollend behandelt. Wie sehr Erdgasförderungen dort willkommen sind, zeigt sich auch in der Tatsache, dass die Staatsregierung freiwillig auf eine Förderabgabe nach dem Bundesbergbaugesetz verzichtet. Dadurch solle die Suche nach neuen Lagerstätten angeregt werden, teilt das Wirtschaftsministerium auf Anfrage der Grünen im Landtag mit. Aiwanger selbst spricht bei Erdgas gerne von einer klimafreundlichen Brückentechnologie, verglichen mit der Verbrennung von Öl oder Kohle. Doch dieses Image ist aus Sicht anderer Experten überholt: Gas heize das Klima mehrfach auf – durch Methanemissionen bei Förderung, Speicherung und Transport sowie durch CO2-Emissionen bei der Verbrennung.
„Aiwanger gibt Gas – aber in die falsche Richtung. Wie ein Geisterfahrer unterstützt er die Erschließung neuer dreckiger Erdgasquellen, anstatt seine Energie auf den dringend nötigen Ausbau der Windkraft zu konzentrieren“, sagt der grüne Landtagsvizepräsident Ludwig Hartmann. Während Windkraftbetreiber hohe Gebühren zahlen müssten, um Anlagen im Staatsforst zu errichten, dürfe das Unternehmen Genexco Gas in Reichling quasi umsonst das Gas ausbeuten. Damit verheize „die Staatsregierung weiter die Zukunft unserer Kinder“.
Bei der „Bürgerinitiative Reichling Ludenhausen – gegen die Ausbeutung unserer Heimat“ keimt nun Hoffnung auf: Die klaren und einstimmigen kommunalen Beschlüsse „signalisieren den Bürgern, dass sie mit ihren Bedenken nicht alleingelassen werden“, heißt es dort. Es sei aber auch ein Signal an Genexco, dass das Unternehmen in der ganzen Ammersee-Region nicht willkommen sei.