Die Angst vor dem Gegenschlag

von Redaktion

Trauer und Wut: Familienangehörige von getöteten Kindern und Jugendlichen während der Beerdigung in Madschdal Schams. © Menahem Kahana/AFP

Madschdal Schams/Tel Aviv/Beirut – Die Reaktion Israels kommt schnell. Die Hisbollah habe „alle roten Linien überschritten“, sagt Außenminister Katz, nachdem am Samstag eine Rakete auf den von Israel besetzten Golanhöhen eingeschlagen war. Sie trifft mindestens zwölf Kinder und Jugendliche. Beim Fußballspielen. „Wir stehen vor einem umfassenden Krieg“, so Katz.

Selten ist die Sorge vor einem Flächenbrand in Nahost so groß wie an diesem Wochenende. Israel macht die mit dem Iran verbündete libanesische Schiitenmiliz Hisbollah für die Attacke verantwortlich und droht mit einer harten Reaktion. Bereits in der Nacht auf Sonntag bombardiert die israelische Luftwaffe mehrere Hisbollah-Ziele im Libanon.

Der Vorfall löst international Bestürzung und Sorge vor einer Eskalation der Gewalt in der Region aus. UN-Vertreter rufen beide Parteien zu „größtmöglicher Zurückhaltung“ auf. Auch die USA und die EU verurteilen den Angriff.

Der tödliche Vorfall in Madschdal Schams ist der bisher schlimmste auf israelischer Seite seit Beginn der Gefechte mit der Hisbollah vor fast zehn Monaten. Der Raketenangriff auf den Golanhöhen folgt auf einen israelischen Angriff im Dorf Kfar Kila nahe der libanesisch-israelischen Grenze, bei dem nach Angaben der Hisbollah vier ihrer Mitglieder getötet wurden.

Die Kinder und Jugendlichen, die am Samstag bei dem Raketenangriff in der drusischen Ortschaft Madschdal Schams ums Leben gekommen sind, waren gerade mal zehn bis 20 Jahre alt. Die Rakete: iranischer Bauart. Augenzeugen beschreiben grauenhafte Szenen mit zerfetzten Leichen. Tausende von Menschen haben am Begräbnis der jungen Opfer teilgenommen.

Die Hisbollah teilt in einer Erklärung mit, sie habe mit dem Angriff nichts zu tun. Israel spricht von einer Lüge. Der israelische Generalstabschef Herzi Halevi sagt bei einem Besuch am Ort des Einschlags, es handele sich um eine Falak-Rakete mit einem 53-Kilogramm-Sprengkopf. Es sei eine Rakete der Hisbollah. „Wer eine solche Rakete auf ein Wohngebiet schießt, will Zivilisten töten, will Kinder töten.“

Die Golanhöhen sind ein strategisch wichtiges Felsplateau, etwa 60 Kilometer lang und 25 Kilometer breit. Im Sechstagekrieg 1967 wurde das Plateau von Israel erobert und 1981 annektiert. Dies wurde international aber nicht anerkannt. Nach internationalem Recht gelten die Gebiete als von Israel besetztes Territorium Syriens. Der frühere US-Präsident Donald Trump hatte die Golanhöhen im März 2019 formell als Staatsgebiet Israels anerkannt und damit eine Kehrtwende in der US-Außenpolitik vollzogen.

Der Raketenangriff hat einen Ort getroffen, in dem vor allem arabischsprachige Drusen leben. Die Religionsgemeinschaft ist im elften Jahrhundert aus dem schiitischen Islam hervorgegangen. In Israel dienen viele Drusen in der Armee.

Ein Sprecher des israelischen Außenministeriums, Oren Marmorstein, warnt: Es gebe nur eine Möglichkeit, einen umfassenden Krieg zu verhindern, „der auch für den Libanon verheerend wäre“. Die Hisbollah müsse gezwungen werden, sich gemäß einer UN-Resolution bis hinter den Litani-Fluss zurückzuziehen. Dieser liegt 30 Kilometer von der Grenze zwischen Israel und dem Libanon entfernt. „Jetzt ist es die allerletzte Minute, dies noch diplomatisch zu tun.“

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wählt drastischere Worte: „Die Hisbollah wird einen hohen Preis dafür bezahlen, einen Preis, den sie bislang noch nicht bezahlt hat.“ Er berief nach seiner Rückkehr aus den USA das Sicherheitskabinett ein. Netanjahu hatte in den USA eine Rede vor dem Kongress gehalten und US-Präsident Joe Biden, Vizepräsidentin Kamala Harris und Ex-Präsident und Präsidentschaftskandidat Donald Trump getroffen. Seine Abreise aus Washington zog er um mehrere Stunden vor.

Die Hisbollah richtet sich indes nach eigenen Angaben auf einen möglicherweise schweren Angriff Israels ein. „Wir sind seit Monaten in Bereitschaft und halten Ausschau nach jeglichem Angriff des Feindes“, werden Kreise der Miliz zitiert.

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