Wenn Menschen bei einem Unwetter in Not geraten, ist oft zu lesen, sie seien von Sturm, Blitz und Hagel „überrascht“ worden. Dank Radar-Apps auf dem Handy sind kurzfristige Wettervorhersagen inzwischen aber derart präzise, dass es eigentlich kaum noch möglich ist, von einem Unwetter überrascht zu werden – außer man ignoriert sämtliche Prognosen und hüpft trotz aufziehender schwarzer Wolken und einem dumpfen Donnergrollen in den nächstbesten Badesee.
Eine ähnliche Ignoranz ist in der deutschen Wohnungspolitik zu beobachten: Zu Beginn des Jahres 2022 hatten gestörte Lieferketten infolge der Corona-Lockdowns die Baukosten bereits massiv verteuert. Der Ukraine-Krieg ließ die Preise weiter in die Höhe schießen. Angesichts hoher Inflationsraten waren Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB) zu erwarten, mit einer massiven Verteuerung der Baukredite war damit zu rechnen. Im Jahr 2022 war klar: Sofern die Politik nicht schnell und beherzt gegensteuert, steht der Wohnungsneubau in Deutschland vor einem beispiellosen Kollaps.
Obwohl die Vorhersagen auf dem Tisch lagen: Bis auf ein paar kleine gesetzliche Neuerungen am Bau blieb der große Wurf sowohl der Bundesregierung als auch der Staatsregierung aus. Am Freitag berichtete das Handwerk über einen Einbruch beim Wohnungsneubau, am Wochenende legte der Verband bayerischer Wohnungsunternehmen mit alarmierenden Zahlen nach. „Überraschend“ kommt die Wohnungsbaukrise nicht. Überraschend ist vielmehr, wie wenig der Politik einfällt, um eines der zentralsten Probleme der Gegenwart zu lösen. Sebastian.Hoelzle@ovb.net