Keiner Schuld bewusst: Christian Lindner bei einer Wahlkampfveranstaltung in Potsdam. © dpa
München/Berlin – Gemeinsam mit seiner Frau Britta Ernst nimmt sich Olaf Scholz gerade eine Sommer-Auszeit. Wo genau der Kanzler Urlaub macht, ist unbekannt. Ein sonniger Ort soll es sein. Einer, an dem man gut faulenzen kann, aber auch Sport machen – zumindest so viel hat er vorher verraten. Er freue sich darauf, „dass Ruhe herrscht“. Und dann kam Christian Lindner.
Der Bundesfinanzminister nämlich hat nach einer mit Scholz und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) gefundenen Einigung zum Etat 2025 nun noch einmal mehrere Vorhaben verfassungsrechtlich und wirtschaftlich prüfen lassen. Dabei hatten die Ampelspitzen eigentlich Anfang Juli verkündet, nach wochenlangem Ringen endlich einen Haushalts-Kompromiss gefunden zu haben. Das Problem: Die von Lindner beauftragte Prüfung ergab erneut rechtliche Risiken, sagt FDP-Chef Lindner. Dessen Ministerium zieht daraus den Schluss, dass teils neu verhandelt werden muss. Schon wieder. Aber: „Wir haben keinen neuen Streit“, beharrte Lindner zunächst.
Das klingt inzwischen irgendwie anders. Die Ampel-Partner sind ziemlich sauer. „Sich jetzt hinter vermeintlichen oder tatsächlichen Gutachten zu verschanzen und zu sagen, war alles nicht so gemeint, ist kein guter Stil“, schimpft SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. Dies gelte erst recht für die Veröffentlichung, während sich der Kanzler im Urlaub befinde. „Das kann man nur als Selbstvermarktung begreifen.“ Lindner sei mit seiner Kritik am Haushaltsentwurf an die Öffentlichkeit gegangen, anstatt zuerst mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) zu sprechen, legt Kühnerts Parteichefin Saskia Esken nach: „Das ist unanständig und es dient der eigenen Profilierung.“
Die Union hält die Lücke für noch größer
Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch wirft Lindner vor, eine gemeinsame Vereinbarung einseitig aufgekündigt zu haben. „Jetzt muss er Lösungen vorlegen.“ Zugleich die Mahnung: „Ein Kaputtsparen beim Sozialen, ein Kaputtsparen beim Klimaschutz wird es mit uns nicht geben.“ Und – Grüße an den Urlauber: Es sei auch Aufgabe des Kanzlers, den Finanzminister daran zu erinnern, dass gemeinsam vereinbarte Wege auch gemeinsam getragen werden müssen.
Lindner verteidigt sich. Die Prüfung sei vereinbart gewesen, sagt der Finanzminister. Er habe zudem transparent angekündigt, dafür unabhängige Sachverständige zu beauftragen. Er habe sich schon einmal auf einen Koalitionskompromiss beim Haushalt eingelassen, der wackelig gewesen und – vor mittlerweile fast neun Monaten – vom Bundesverfassungsgericht verworfen worden sei. „Das passiert mir kein zweites Mal“, sagt Lindner.
Tatsächlich hatte Lindner schon Anfang Juli Zweifel an der Kompromisslösung geäußert. Die sieht drei Instrumente vor, um eine Finanzierungslücke zu schließen. Zum einen sollten knapp fünf Milliarden Euro der bundeseigenen Förderbank KfW, die zur Finanzierung der Gaspreisbremse nicht benötigt wurden, anderweitig genutzt werden. Zweitens und drittens sollten Zuschüsse, die zur Sanierung des Schienennetzes der Deutschen Bahn sowie zur Finanzierung der Autobahn GmbH benötigt werden, in Darlehen umgewandelt werden, die von den Unternehmen theoretisch später zurückgezahlt werden müssten. Nach Darstellung des Ministeriums bestehen insbesondere bei einer Verwendung der KfW-Mittel „erhebliche verfassungsrechtliche Risiken“.
Für die Opposition ist der neue Ampel-Zoff ein gefundenes Fressen. „Wo ist Scholz? Die Ampel zerlegt sich wieder mal in aller Öffentlichkeit, weil sie erneut beim Haushalt scheitert – und der Kanzler urlaubt“, kritisiert CSU-Generalsekretär Martin Huber. Zudem hält die Union Lindners Berechnungen für unrealistisch. Die Finanzierungslücke im Haushalt sei „größer als die von Christian Lindner behaupteten fünf Milliarden Euro“, sagt Fraktionsvize Mathias Middelberg (CDU). „Tatsächlich bleiben von den offenen 17 Milliarden Euro nach Abzug einer Kapitalerhöhung bei der Bahn in Höhe von bis zu 3,6 Milliarden Euro noch 13,4 Milliarden Euro zu finanzieren“, rechnet er vor. Lindners Erwartung, acht bis neun Milliarden Euro würden nicht verausgabt, sei unrealistisch.
Bis zur nächsten Kabinettssitzung am 14. August will die Bundesregierung die offenen Fragen geklärt haben. Der Kanzler und seine Kabinettskollegen seien jederzeit in der Lage, sich abzustimmen, sagt ein Sprecher. Auch telefonisch.