Kevin Kühnert, SPD-Generalsekretär, geht auf Wahlkampftour durch Thüringen. © dpa
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert startet in der 35 000-Einwohner-Stadt Altenburg in Ostthüringen seine Sommertour vor der Landtagswahl. Wir haben ihn dort getroffen zum Interview über die Sorgen der Menschen vor allem im Osten. Kühnert (35) hat seine politische Heimat in Berlin.
In Ostdeutschland fühlen sich viele Menschen ungerecht behandelt. Die Löhne sind niedriger, die Renten erst recht. Klassische SPD-Themen. Warum aber sind AfD und BSW so viel stärker in Umfragen als Sie?
Ich erlebe in vielen Gesprächen die Annahme, dass die Politik nichts Positives unternimmt, dass sich eh nichts ändert. Dieses verbreitete Gefühl nehme ich ernst, widerspreche als Sozialdemokrat aber auch mit Zahlen, Daten und Fakten. So wurde der Mindestlohn eingeführt und erhöht, davon profitieren allein in Thüringen Hunderttausende. Zudem wurde die Midi-Job-Grenze ausgeweitet, Kinderzuschlag und Wohngeld für Menschen mit kleinen Einkommen erhöht und die Grundrente wurde eingeführt. Der deutsche Niedriglohnsektor schrumpft massiv. Die Rentenangleichung zwischen Ost und West ist ebenfalls schneller erfolgt, als ursprünglich angedacht. Allesamt Maßnahmen, die auf die SPD zurückgehen. AfD und BSW verantworten nichts davon. Und es gibt natürlich auch trotz des schwierigen Haushalts keinen Kahlschlag bei der Rente.
Menschen mit ohnehin schon sehr kleiner Rente oder Niedriglohn hilft das im Alltag nur bedingt.
Mir ist schon klar, dass niemand eine Flasche Sekt aufmacht, der eine niedrige Rente hat. Aber ich möchte verdeutlichen: Es hat einen Unterschied gemacht, wenn jemand vor drei Jahren sozialdemokratisch gewählt hat. All die genannten Maßnahmen hätte es unter einem Bundeskanzler Armin Laschet nicht gegeben. Und da haben wir Wagenknecht auch einiges voraus. Die fordert zwar im Zweifel immer ein bisschen mehr als die SPD, hat aber in ihrem ganzen politischen Leben noch nie irgendeine Maßnahme durchgesetzt, sondern war immer nur Opposition. Davon geht es keinem Menschen besser.
Viele Thüringer machen die Entwicklungen nach der Wiedervereinigung für viele der Probleme in den Städten – mangelnde Infrastruktur, fehlende Krankenhäuser – verantwortlich. Können Sie das nachvollziehen?
Ich bin vier Monate vor dem Mauerfall geboren und ich kann nicht authentisch berichten, wie es damals war. Was ich weiß, ist, dass es natürlich eine große Euphorie gab und den Wunsch nach schneller Angleichung der Lebensverhältnisse. Nicht alles davon ist im Rückblick ideal gelaufen. Prägend sind bis heute manche ökonomische Unterschiede, für die die Menschen in Ostdeutschland zu Recht ein feines Gespür haben. Bundesländer wie Thüringen, Sachsen oder Brandenburg sind nach 1990 mit quasi keinem Vermögen gestartet, im Vergleich zu den westdeutschen Ländern, in denen viele Menschen längst Vermögen hatten. Das zieht sich bis heute durch. Stichwort Heizungsgesetz, wo es um große Investitionen geht. Anderes Beispiel: Erbschaftsteuer. In Thüringen leben 2,5 Prozent der Deutschen, aber das Land generiert nur 0,3 Prozent der Erbschaftssteuer. So was prägt einen Landeshaushalt auf Dauer und sorgt für Frust, wenn die Politik nicht gegensteuert.