Union ruft Bundespräsidenten zu Hilfe

von Redaktion

Steinmeier soll bei Ampel vermitteln: „Streithähne an einen Tisch“ – Widerspruch zur Amtspraxis

Frank-Walter Steinmeier ist seit 2017 Bundespräsident. © AFP

München/Berlin – Es war die Einladung zu einem ungemütlichen Gespräch, aber niemand wagte, dem Staatsoberhaupt abzusagen. Der Reihe nach bat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ab November 2017 die wichtigsten Partei- und Fraktionschefs zu sich. Die wenigen Bilder des Hoffotografen zeigen Gespräche an einem runden, dunklen, leeren Tisch, kein Wasserglas und keine Kaffeetasse, aber ein sehr ernst dreinblickender Gastgeber. Und am Ende setzte sich Steinmeier gegen seine Gäste durch.

In jenen diskreten Runden verlangte das Staatsoberhaupt von den Politikern, sich doch noch mal zu einer Sondierung zusammenzusetzen. „Wer sich in Wahlen um politische Verantwortung bewirbt, der darf sich nicht drücken, wenn man sie in den Händen hält“, sagte er öffentlich und beschrieb damit die Lage: Die Wahl im Herbst 2017 war absolviert, die zunächst angepeilte „Jamaika“-Koalition aus Union, FDP und Grünen aber mit einem Knall geplatzt. Steinmeiers Intervention brachte seine alte SPD doch nochmal dazu, als Juniorpartner in eine Groko einzusteigen. Eine Neuwahl wurde vermieden. „Der Steinbeißer“, titelte der „Spiegel“, das war als Lob gemeint.

An diese Treffen denken sie in der Union derzeit gern zurück. Denn die CSU fordert jetzt eine Art Neuauflage. Steinmeier solle umgehend als „Vermittler auftreten“ und die Konflikte in der aktuellen Bundesregierung moderieren, sagte Generalsekretär Martin Huber am Montag. „Der Bundespräsident muss die Ampel-Streithähne an einen Tisch holen.“ Er müsse klarmachen, dass es so nicht weitergehen könne. Und solle Kanzler Olaf Scholz (SPD) die Vertrauensfrage ans Herz legen, weil diesem „die Lage egal und entglitten“ sei.

Der Hilferufe der CSU ist in Berlin natürlich als Affront gegen die Ampel gedacht, platziert kurz vor den Ostwahlen. Dass sich der Präsident ernsthaft von der Union vorschreiben lässt, mit wem er sich zu treffen hat, ist unwahrscheinlich. Rechtlich gibt es dafür im Grundgesetz keine Handhabe. Und politisch dürfte Steinmeier ahnen, dass er in der Union nicht die größten Anhänger seiner Amtsführung vermuten darf. Er hat eh gerade anderes zu tun, das Amt plant für Ende August die nächste Reihe an Vor-Ort-Terminen in Deutschland, drei Tage Dienstsitz in Stendal, Sachsen-Anhalt.

Der Bundespräsident hat andersrum auch wenig offizielle Handhabe jenseits der Kraft mahnender Worte, auf die Regierung einzuwirken. Er könnte nun in der Sommerpause verlangen, dass der Bundestag zurücktritt. Er kann aber nicht die Ampel-Koalition beenden und auch nicht dem Kanzler vorschreiben, ob und wann er eine Vertrauensfrage zu stellen hat, die ja der Weg zu Neuwahlen wäre. Das war in der Weimarer Republik noch anders, da konnte der Reichspräsident in parlamentarischen Krisenlagen direkt intervenieren.

Steinmeier selbst hat auch bisher nie erkennen lassen, sich in die Tagespolitik einmischen zu wollen. Seine SPD-Mitgliedschaft ruht. Den Verlockungen, die allerumstrittensten Ampel-Gesetze – Heizen, Cannabis – nicht zu unterschreiben, widerstand er.

Der Ruf an Steinmeier, sich kurz vor Wahlterminen in die Tagespolitik einzuschalten und die Koalition zu maßregeln, hat indes noch eine andere Komponente: Die CSU zeigt damit, wie sie sich die Rolle eines aktiven Bundespräsidenten vorstellt. Von Zeit zu Zeit wird Markus Söder ja mit Interesse an Schloss Bellevue in Verbindung gebracht.
CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

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