Ein Bundeswehr-Schützenpanzer Marder, hier in einer Übung auf dem Militärgelände in Munster: Ist der Einsatz in Russland legitim? © Philipp Schulze/dpa
Berlin/München – Es sind diese Bilder, die Olaf Scholz auf keinen Fall je sehen wollte: Panzer aus deutscher Fabrikation, von der Bundeswehr geliefert, rücken im ukrainischen Einsatz über die Grenze nach Russland vor. „Wenn Kampfpanzer mit dem deutschen Eisernen Kreuz erbeutet würden“, so warnte sein Kanzleramt im Herbst 2022, „wäre es der perfekte Anlass für die Propaganda der Russen, um zu sagen: Schaut, das ist die Nato, die uns angreift.“
Scholz hatte 2022/23 diese rote Linie: Waffenhilfe ja, aber nur zum Verteidigen ukrainischen Staatsgebiets. Im Mai 2024 kam hinzu, dass russische Stellungen knapp jenseits der Grenze attackiert werden dürfen, die auf die Ukraine schießen. Nun ist die rote Linie ausradiert: Bei der ukrainischen Offensive im russischen Kursk rollen deutsche Panzer. Nicht mit Eisernem Kreuz drauf, nicht offiziell bestätigt, aber für Fachleute erkennbar. Mindestens einer der Schützenpanzer aus den deutschen Paketen sei im Einsatz, sagt der Münchner Militärexperte Carlo Masala dem „Spiegel“, es gebe eine „visuelle Bestätigung“. 120 solche „Marder“ hatte Deutschland geliefert. Zudem 58 Kampfpanzer „Leopard 1“ und 18 „Leopard 2“. Sie wurden in der eroberten Fläche (ungefähr die Größe eines oberbayerischen Landkreises) bisher nicht erspäht.
Für die Bundesrepublik ist diese Debatte hoch brisant. Scholz schaut bei seinen Waffenhilfen immer darauf, ob seine eigenen Landsleute noch dahinterstehen. Und da gibt es Verschiebungen, vor allem im Osten. Mit AfD und BSW sind dort zwei Parteien erstarkt, die massiv gegen Waffenlieferungen argumentieren. Auch die CDU- und SPD-Ministerpräsidenten dort steuern um. „Wir können nicht länger Mittel für Waffen an die Ukraine in die Hand nehmen, damit diese Waffen aufgebraucht werden und nichts bringen“, sagte etwa Sachsens CDU-Regierungschef Michael Kretschmer.
Der ARD-Deutschlandtrend vom Juli, vor Kursk also, zeigte bereits, dass nur 38 Prozent der Deutschen die Waffenlieferungen an die Ukraine für angemessen halten. Für 36 Prozent gehen sie zu weit, 19 Prozent fordern mehr. Im Osten sagt jeder Zweite: zu viel.
Geht der Panzer-Einsatz bei Kursk noch mehr Deutschen zu weit? Oder ist es einfach an der Zeit, eine neue Realität anzuerkennen? Die CDU-Spitze beißt sich derzeit die Zunge blutig, um möglichst wenig auf den Wahlkämpfer Kretschmer reagieren zu müssen. Auch Scholz, den seine SPD gern als „Friedenskanzler“ deuten würde, bleibt in der Sommerpause wortkarg. Ein Sprecher, der in der rituellen Regierungspressekonferenz Fragen nicht entkommen kann, richtet aus, die ukrainische Offensive sei eine „sehr geheim und ohne Rückkoppelung vorbereitete Operation“. Generell müssten die Waffen „völkerrechtskonform“ eingesetzt werden.
Das Völkerrecht schließt die Angriffe in Kursk ein, sagte der Bonner Professor Matthias Herdegen der Fachzeitschrift „LTO“. „Das Recht auf Selbstverteidigung deckt militärische Operationen auch im Gebiet des angreifenden Staates. Es wäre geradezu absurd, wenn sich ein Aggressorstaat darauf verlassen könnte, ungefährdet aus einer sicheren Zone jenseits der Grenze heraus Angriffe führen zu können.“
Verteidigungspolitiker der Ampel stützen den Einsatz. „Das Material, was Deutschland der Ukraine überlassen hat, gehört der Ukraine und sie darf es auch einsetzen, um sich zu verteidigen“, sagt die FDP-Europaabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann unserer Zeitung. „Der Angriff auf russischem Territorium ist nicht nur eine strategische Möglichkeit, das wirkungsvoll zu tun, sondern völkerrechtskonform, auch wenn es mit Risiken belastet ist.“ Die Tragik sei, „dass das Kanzleramt nicht mehr von der Palme runterkommt, auf die es mit dem kategorischen Nein geklettert ist, den Taurus zu liefern.“
Der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter sagt klar: „Die Frage, ob westliche Waffen oder deutsche Schützenpanzer auf russischem Boden eingesetzt werden, stellt sich nicht, denn es sind nach der Lieferung ukrainische Waffen.“ Die Eskalation gehe ausschließlich von Russland aus. Keiner solle auf russische Desinfomation für eine schleichende Täter-Opfer-Umkehr reinfallen. „Russland nährt gezielt deutsche Ängste.“
Russlands Staatschef Wladimir Putin äußert sich bisher nicht zu den deutschen Panzern. Ex-Regierungschef Dmitri Medwedew, einer der Verbalradikalsten in Moskau, drohte Berlin, nun werde man „alles tun, um die neuesten russischen Panzer auf den Platz der Republik zu bringen“.