Die Taliban feiern den Jahrestag ihrer Rückkehr an die Macht. Unzählige Afghanen sind vor ihnen geflüchtet. Manche kehren offenbar besuchsweise zurück. © AFP
München – Die Taliban haben sich für ihre Jubel-Feiern symbolträchtige Ort ausgesucht: frühere Militärbasen, Luftwaffenstützpunkte, jene Orte, die die Amerikaner und ihre Verbündeten 2021 panisch verließen. Afghanistans Herrscher nutzen sie am Mittwoch als Kulisse. Im ganzen Land finden Militärparaden statt, teils mit militärischem Gerät, das der Westen hier zurückgelassen hat. Es sind Machtdemonstrationen zum Jahrestag.
Seit genau drei Jahren herrschen die Islamisten wieder über Afghanistan und drehen systematisch die Zeit zurück. 1,4 Millionen Mädchen dürfen nicht zur Schule gehen, die Scharia ist Gesetz. Auch deshalb flohen nach der Machtübernahme tausende Afghanen aus ihrem Land, ersuchten anderswo um Schutz. Viele in Deutschland, das aus Sicherheitsgründen nicht mehr nach Afghanistan abschiebt. Umso irritierender ist, was Recherchen von RTL/ntv ergeben haben: Offenbar reisen viele Schutzberechtigte regelmäßig in die alte Heimat.
Der Widerspruch liegt auf der Hand: Kann, wer ohne Sorge nach Kabul reist, wirklich schutzbedürftig sein? Ohne eine spezielle Genehmigung sind solche Reisen jedenfalls nicht erlaubt. Fliegen sie auf, droht anerkannten Asylbewerbern der Entzug der Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland. Offensichtlich hat sich aber inzwischen ein System etabliert, das Afghanistan-Besuche möglich macht. Reisebüros bieten sie an – und täuschen die Behörden.
„Viele Afghanen aus Europa gehen aktuell für Urlaub zurück. Sogar aus London, aus Deutschland, machen Urlaub“, sagt eine frühere Ortskraft dem RTL-Team. Das hat sich in Hamburg umgehört und alleine dort mehrere Reisebüros gefunden, die die illegalen Reisen organisieren. Ein Betreiber spricht von hunderten Afghanen, die wöchentlich in ihre Heimat reisten, obwohl sie nur einen Blauen Pass haben.
Er ist ein spezielles Reisedokument, das anerkannte Asylbewerber bekommen. Nach Auskunft des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) besitzen ihn aktuell 62 618 Afghanen und 279 860 Syrer. Zwar dürfen sie prinzipiell mit dem Blauen Pass reisen, allerdings – außer in speziellen Ausnahmefällen – nicht in das Land, aus dem sie geflohen sind. Ein anderes Dokument hilft Afghanen dabei, das Verbot zu umgehen: das „Double Entry Visa“. Der Trick: Am Flughafen geben sie den Iran als Zielland an, reisen aber von dort aus weiter nach Kabul. Das Visum wird zwar von den dortigen Behörden abgestempelt, aber nicht in den Blauen Pass eingeklebt. Vor der Rückkehr nach Deutschland lässt sich das Papier deshalb mühelos entsorgen – und die deutschen Behörden bekommen nichts vom wirklichen Reiseziel mit.
Über die jeweiligen Motive ist nichts bekannt, auch das wirkliche Ausmaß der Masche ist unklar. Die Praxis wirft allerdings ein schräges Licht auf die bisweilen zähe Abschiebedebatte hierzulande.
Politiker, auch aus der Ampel, fordern nun schnelles Handeln. „Bund und Länder müssen die Berichte über den massiven Missbrauch von Visa (…) ernst nehmen und aufklären“, sagte der FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle unserer Zeitung. Verantwortliche müssten zur Rechenschaft gezogen werden. „Wer Schutz in Deutschland genießt und zugleich in das Land reist, in dem er vorgibt, verfolgt zu werden, der bedarf offenbar des Schutzes nicht. In solchen Fällen sollte der Schutzstatus umgehend aberkannt werden.“ Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, wirft dem Innenministerium Desinteresse vor. Es werde „ganz offensichtlich überhaupt nicht hingeguckt“, sagte der CDU-Politiker.
Die Innenministerin sieht sich nicht zuständig. Es sei „Aufgabe der örtlichen Ausländerbehörden, darauf zu achten, das sowas nicht passiert“, sagte Nancy Faeser (SPD) im Gespräch mit RTL. Die Bundespolizei kontrolliere zudem „sehr professionell“ an den jeweiligen Flughäfen. Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Heiko Teggatz, widerspricht. Um die Dokumente bei der Ausreise zu überprüfen, fehle den Dienststellen schlicht das Personal.
Um die Masche zu unterbinden, fordert Teggatz ein Gesetz, das verpflichtet, Visa in die Pässe einzukleben. Ihm sei schleierhaft, dass ein Visum, das wie ein Beipackzettel im Pass liege, überhaupt gültig sein kann.