Ein großes Kamala-Harris-Graffiti in Chicago zieht derzeit Selfie-Jäger an – sogar diesen Polizisten. Ist die Euphorie tragfähig? © Charly Triballeau/AFP
Chicago – Die Stadt Chicago, Austragungsort des heute beginnenden Nominierungsparteitags der Demokraten, rüstet sich für vier unruhige Tage. Im Kongresszentrum ist die Krönungsmesse für Spitzenkandidatin Kamala Harris zwar nur Formalität, Kontroversen sind nicht angesagt. Doch entlang der „Magnificent Mile“ Michigan Avenue igeln sich Luxusläden ein. Fensterfronten sind bereits mit Sperrholzplatten gesichert, man fürchtet Vandalismus und Plünderungen.
Zwar hat die notorisch unterbesetzte Polizei der Stadt Verstärkung aus benachbarten Bundesstaaten wie Wisconsin angefordert. Doch die Reden im Kongresszentrum könnten von Straßenschlachten überschattet werden. Denn zehntausende Demonstranten von Organisationen, die aus ihrer Nähe zum Extremismus in Nahost kein Geheimnis machen, haben sich ebenso wie die notorischen Antifa-Mitläufer angekündigt. Jene Gruppen, die mit Blick auf den Gaza-Krieg Parolen wie „Genocide Joe“ und „Killer Kamala“ erfunden haben.
Das Ziel der pro-palästinensischen Protestbewegungen ist klar: die Schlagzeilen zu bestimmen – und der Biden/Harris-Regierung zu große Nähe zum demokratischen Bündnispartner Israel vorzuwerfen. Zwar hat Harris in den letzten Wochen Israel wegen der Kriegsführung in Gaza noch schärfer kritisiert, als es ihr noch amtierender Chef Joe Biden getan hat. Doch das hat kaum dazu beigetragen, die Gemüter im progressiven Lager der Demokraten und bei der Anti-Israel-Bewegung in den USA zu beruhigen.
Weitgehend friedlich wird es hingegen in der Halles des Parteitags zugehen. Die Führung der Demokraten zeigt sich vereinigt hinter Harris, und der beispiellose Coup hinter den Kulissen, der Joe Bidens Wiederwahlträume beendete, gerät bereits in Vergessenheit. Dazu soll auch die Rolle Bidens auf dem Parteitag beitragen: Noch Anfang Juli wollte er sich im Konfettiregen am letzten Abend bejubeln lassen. Nun hat man den 81-Jährigen und auch First Lady Jill zu Statistenrollen am ersten Abend degradiert. Joe Biden werde dort zur „Einheit“ in der Partei aufrufen – und sich dann, wie „Politico“ und andere Medien berichten, schnell aus Chicago entfernen und auch der wichtigen Rede von Harris am Donnerstag fernbleiben.
Nach der von der früheren Parlamentspräsidentin Nancy Pelosi geleiteten und wohl von Barack Obama im Hintergrund geplanten Absetzung des Kandidaten Biden blieben den Organisatoren des Parteitags ganze 29 Tage für eine Neuausrichtung. Dabei haben die Planer eine besondere Hürde: Das frische Gesicht Kamala Harris ist eine der am wenigsten dem Volk bekannte Politikerin, die an die Spitze im Weißen Haus strebt.
Während ihrer dreieinhalb Jahre als Vize von Joe Biden konnte sie sich nicht profilieren. Biden hatte sie beispielsweise zur politischen Chefin der Grenzsicherung gemacht und wollte, dass sie in den Ursprungsländern der Migrationsbewegung zur Verbesserung der Lebensbedingungen beiträgt. Die USA haben allerdings gar nicht die politische Macht, in Staaten wie Honduras oder Venezuela die Beschäftigungsmöglichkeiten grundsätzlich zu verändern.
Neuer Plan: Preisgrenzen
Parteitage in den USA sind aber vor allem emotionale Jubel-Feste. Dazu passt, dass Harris, das zeigen Umfragen, deutlich bessere Chancen hat, Donald Trump im November zu schlagen. Auch ihre neue Idee, staatliche Preisgrenzen für Konsumgüter einzuführen und kapitalistische „Halsabschneidereien“ (Harris) von Unternehmen zu bekämpfen, um endlich die Inflation in den Griff zu bekommen, wird in Chicago nicht auf der Bühne kritisiert werden. Allerdings gibt es von Ökonomen und selbst liberalen Medien in den USA deutliche Kritik.
FRIEDEMANN DIEDERICHS