Berlin – Der Vorstand der Linken sieht die Partei in einer dramatischen Lage und übt deutliche Selbstkritik. Die Partei sei „zweifellos in einer gefährlichen, existenzbedrohenden Situation“, heißt es in einem Leitantrag für den Parteitag im Oktober, der vom Vorstand beschlossen wurde und der Nachrichtenagentur AFP vorliegt. „Wir waren nicht gut genug dabei, Skepsis und Verunsicherung genauso anzunehmen wie Ungeduld und Empörung.“ Die Linke-Vorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan kündigten ihren Rückzug auf dem Parteitag an.
Besonders nach der Abspaltung des Wagenknecht-Bündnisses BSW im Herbst und damit dem Verlust des Fraktionsstatus‘ im Bundestag ging es für die Linke in der öffentlichen Wahrnehmung bergab. Bei der Europawahl kam sie auf lediglich 2,7 Prozent, in bundesweiten Umfragen liegt sie derzeit ebenfalls nur bei drei. Das BSW schneidet deutlich besser ab; das gilt auch für Umfragen zu den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im September. „Viele, die lange Zeit ihr Vertrauen in uns gesetzt und uns dafür gewählt hatten, haben den Eindruck: Ihr seid mit euch selbst beschäftigt, ihr seid nicht für uns da“, konstatiert der Vorstand in dem Leitantrag. „Diese Kritik nehmen wir an.“
Die Linke habe bei wichtigen Themen „zu oft“ nicht mit einer Stimme gesprochen und strittige Fragen „zum Teil nicht klar entschieden“, analysiert der Vorstand. Oft seien Parteibeschlüsse „nicht in der Öffentlichkeit vertreten“ worden. Es sei der Linken nicht gelungen, „die Verteilungsfrage zwischen oben und unten wirksam auf die öffentliche Agenda zu setzen und den Unmut über die ‚Ampel‘ von links zu besetzen“. Man habe keine wirksamen Strategien gegen den Rechtsruck gefunden. Wissler sagte: „Ich nehme wahr, dass es in Teilen der Partei den Wunsch nach einem personellen Neuanfang gibt.“
AFP/DPA