KOMMENTARE

Ein schwieriger politischer Spagat

von Redaktion

Parteitag der Demokraten

US-Präsident Joe Biden konnte einem beim Nominierungsparteitag fast schon leidtun. Ein Politiker dieses Kalibers, der ein halbes Jahrhundert seines Lebens in den Dienst der Nation stellte, hat ein solches Karriereende nicht verdient: Die Demokraten, deren Spitze ihn zum Rücktritt gezwungen hatte, ließen ihn erst kurz vor Mitternacht reden – nach dem Motto: Möglichst wenig Aufmerksamkeit. Das gehört auch zum kuriosen roten Faden, der die Veranstaltung durchzieht. Denn Harris, die am Dienstag formell als Spitzenkandidatin bestätigt wurde, wünscht sich im Wahlkampf Distanz zu den letzten dreieinhalb Jahren, für die sie zusammen mit Biden verantwortlich zeichnet.

Bidens Ärger muss tief sitzen, auch wenn er dies dementiert. Deshalb wartete er den weiteren Verlauf des Krönungsparteitags auch nicht mehr ab, sondern flog in den Urlaub. Dennoch tragen Biden selbst, seine Familie, Berater und US-Medien eine Mitschuld an der unrühmlichen Eskalation der Kandidatenauswahl. Sie haben, das muss künftig Teil der Vita Bidens sein, den kognitiven Verfall des 81-jährigen Präsidenten lange unterschlagen. Dass Biden bei seiner Rede immer wieder Jubel erntete, ist wohl auch dem schlechten Gewissen der Partei zuzuschreiben.

Auch Michelle und Barack Obama, die Star-Redner vom Dienstagabend, versuchten sich deshalb an einem verbalen Spagat. Sie lobten Harris über den grünen Klee, erwähnten sogar Biden kurz – kamen dann aber zum Begriff, der bereits Obamas erste Präsidentschaft geprägt hatte: Dem Land müsse wieder Hoffnung vermittelt werden. Das galt natürlich auch für den Aspekt, dass man hofft, Donald Trump werde nie wieder an die Macht kommen, aber auch für diese heiklen Punkte: ein politisch heillos zerstrittenes Land, Bürger im Würgegriff hoher Preise und niedrige Umfragen-Zustimmung für die derzeitige Regierung. Doch nach dem Zwangs-Abschied von Biden sieht sich die Partei revitalisiert – mit besseren Chancen, als es die Demokraten noch vor Kurzem zu träumen wagten. Politik@ovb.net

Artikel 11 von 11