Ist auf Scholz‘ Unterstützung angewiesen: die proeuropäische Präsidentin Sandu. © afp/Covalenco
München/Chisinau – Angela Merkel lagert eine kleine Weinsammlung in Moldau. Ein paar dutzend Flaschen, markiert mit ihrem Namen und einer Deutschlandfahne, unter einer dicken Staubschicht, 80 Meter tief unter der Erde. Merkel bekam die Sammlung 2012 bei ihrem Besuch als Zeichen der Anerkennung geschenkt, denn Wein ist der große Stolz des Landes, und zuvor hatte noch nie ein deutscher Regierungschef die Republik im Osten Europas besucht – ein kleiner Fleck zwischen der Ukraine und Rumänien, damals eher als Moldawien bekannt. Die Aufregung war riesig, tagelang berichteten die Medien in Moldau darüber. Und so manch einer fragte sich, ob die Kanzlerin nicht Wichtigeres zu tun hätte, angesichts der Eurokrise und der hitzigen Gespräche mit Griechenland.
Zwölf Jahre dauert es, bis wieder ein deutscher Kanzler in die frühere Sowjetrepublik reist. Als Olaf Scholz gestern in der Hauptstadt Chisinau landet, sind die Themen vom Merkel-Besuch noch immer aktuell: das Streben Moldaus nach einem EU-Beitritt, die Macht von kriminellen Oligarchen sowie die ungelöste Transnistrien-Frage – ein prorussisches Separatistengebiet an der Grenze zur Ukraine. Doch die Umstände sind heute völlig anders. Im Gegensatz zu 2012 hat Moldau nun eine klare europäische Perspektive, seit einigen Wochen laufen die Beitrittsgespräche. Und Transnistrien ist heute nicht mehr nur ein winziges skurriles Gebilde, das so gut wie niemand in Europa kennt – sondern vielmehr ein gefährliches Pulverfass, an dem Putin wohl seine Truppen aufmarschieren lassen würde, sollte er sich je für einen Angriff auf Moldau entscheiden.
Die Sorge vor diesem Szenario ist enorm. Heute fragt sich kaum jemand, ob der Kanzler nicht Besseres zu tun hat, als nach seinem Sommerurlaub zuallererst nach Moldau zu reisen. Dort finden im Oktober Parlamentswahlen statt. Scholz will der proeuropäischen Präsidentin Maia Sandu seine Unterstützung versichern – ein Zeichen an die Kreml-nahen Kräfte, die Sandu stürzen wollen. Experten schätzen, dass Moskau in diesem Jahr bereits hunderte Millionen US-Dollar für Desinformationen in Moldau ausgegeben hat. Erst vor wenigen Wochen ist die russlandnahe SOR-Partei für verfassungswidrig erklärt worden. Ihr Anführer, Ilan Shor, gilt als Handlanger des Kremls und wird in Moldau per Haftbefehl gesucht.
Scholz hat Sandu schon bei mehreren Treffen Solidarität versichert. „Lassen Sie mich klar sagen, Deutschland steht weiterhin eng an Ihrer Seite. Wir werden die Republik Moldau nach Kräften unterstützen“, sagte er im Mai bei einem Besuch Sandus in Berlin. Doch dieser Tage kränkelt die Glaubwürdigkeit des Kanzlers in dieser Frage. Auch moldauische Medien berichten über das Gezanke um den deutschen Haushalt – und die daraus folgenden Sperren für die Ukraine-Unterstützung. Für 2025 wurden die Hilfen beinahe halbiert, nur noch vier Milliarden soll es für das Militär geben, in den Jahren darauf noch weniger. Neue Zusagen sollen Kiew gar nicht erst gemacht werden.
Scholz weist alle Vorwürfe zurück. „Wir werden die Ukraine so lange unterstützen, wie das notwendig ist. Und wir werden der größte nationale Unterstützer der Ukraine in Europa sein. Nur die USA leistet mehr als große Weltmacht“, betont er in Chisinau. Darauf könnten sich alle Menschen in der Ukraine verlassen. Allein die Geldquelle würde sich ändern, hatte er schon in Berlin klargestellt: Kiew soll nach einem Beschluss der G7-Staaten einen Kredit über 50 Milliarden Euro erhalten, dessen Zinsen aus den Erträgen eingefrorener russischer Staatsvermögen finanziert werden sollen.
CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter hatte zuvor gefordert, dass Scholz seine Reise als Chance nutze, ein „klares Signal“ zu senden. Er solle deutlich machen, dass Deutschland seine Hilfe „intensivieren“ werde, so Kiesewetter gegenüber „Welt-TV“. Auch der SPD-Außenpolitiker Michael Roth kritisierte die Deckelung der Militärhilfen. „Und was mich am meisten ärgert, ist, dass am Ende der Eindruck entstanden ist, dass für manche in Deutschland der Koalitionsfrieden wichtiger ist als ein gerechter Frieden für die Ukraine“, sagte er RTL und ntv.
Die kleine Republik gilt als eine der ärmsten in Europa. Gemessen an ihren gerade mal 2,5 Millionen Einwohnern hat sie im Verhältnis mehr ukrainische Flüchtlinge aufgenommen als jeder andere Staat in Europa. Die Erwartungen an Unterstützung aus Berlin dürften entsprechend groß sein – weit größer als vor zwölf Jahren unter Merkel.