Weniger Einwanderung über Italien: Dieses Jahr kamen vor allem auf der Mittelmeerinsel Lampedusa weniger Flüchtlinge an. Ein Erfolg von Ministerpräsidentin Meloni? © Pistilli/KNA
München – Die Frau auf der blau verzierten Bühne tigert auf und ab. Betont lässig spricht sie ernste Themen an. „Lasst mich unseren Standpunkt in Sachen Migration erklären“, setzt Giorgia Meloni an. Es ist Mitte September 2022, kurz vor den Parlamentswahlen in Italien. Eines der zentralen Wahlkampfthemen der Vorsitzenden der rechten Partei Fratelli d‘Italia ist ein härteres Vorgehen gegen Flüchtlinge, die über das Mittelmeer vor allem nach Italien gelangen. Meloni spricht von „Sicherheitsproblemen, ja Sicherheitsproblemen“ durch Migranten, die man „den Linken nicht klarmachen kann“. Sie aber setze die Italiener immer an allererster Stelle. Kurze Zeit später wird die rechte Politikerin zur neuen Ministerpräsidentin Italiens gewählt.
Vergangene Woche, rund zwei Jahre nachdem die neue Regierung ihre Arbeit aufgenommen hat, präsentiert sie stolz Ergebnisse. Laut dem parteilosen Innenminister Matteo Piantedosi ist die Zahl der Mittelmeer-Flüchtlinge in diesem Jahr um etwa 63 Prozent zurückgegangen. Auf der von Tunesien nur knapp 190 Kilometer entfernten italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa sei der Rückgang besonders bemerkbar. Dort sind statt 58 000 Menschen im ersten Halbjahr 2023 in diesem Jahr 21 000 Menschen angekommen. Für Piantedosi ist das ein Erfolg der Meloni-Regierung.
Doch Melonis groß angekündigtes Versprechen von einer Eindämmung der Migration schien zunächst mehr und mehr zu verpuffen. In ihrem ersten Jahr als Regierungschefin erreichten so viele Bootsmigranten Italien wie seit 2016 nicht mehr. In Zahlen bedeutet das ein Anstieg auf 158 000 Geflüchtete, laut der „Welt“ sogar ein historischer Höchststand von gestellten Asylanträgen. Meloni sah sich also zum Handeln gezwungen.
Die italienische Ministerpräsidentin setzte vor allem auf Abkommen – und zwar auf internationale. Dafür holte sie die Europäische Union (EU) mit an Bord, denn Migration ist nicht nur ein italienisches Thema. Im Sommer 2023 reiste Meloni zusammen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Tunesiens Hauptstadt Tunis. Tunesien gehört für Geflüchtete zu den wichtigen nordafrikanischen Transitländern auf ihrem Weg nach Europa. Zurück kamen die beiden Politikerinnen mit einer Vereinbarung: rund 100 Millionen Euro, im Gegenzug soll Tunesien helfen, die irreguläre Migration in die EU einzudämmen. Ägypten bekam in einem weiteren Abkommen für diese Aufgabe 200 Millionen Euro. Mit Libyen hat die EU schon seit 2017 ein Abkommen.
Dieses Jahr zeigt sich laut italienischem Innenministerium ein deutlicher Rückgang aus diesen Ländern. Aus Tunesien sind 50 000 Menschen weniger nach Italien aufgebrochen, aus Libyen 13 000. „Solche Abkommen, die wir mit Tunesien oder Libyen geschlossen haben, können einen kurzfristigen Einfluss darauf haben, wie viele Boote von dort aus ablegen“, sagt der Migrationsexperte und Europapolitiker Erik Marquardt (Grüne). „Mittelfristig ist der Einfluss der Politik auf Fluchtrouten allerdings sehr überschaubar.“
Auch Italiens Innenminister Piantedosi berichtet von einem Anstieg in anderen EU-Ländern. 148 Prozent mehr Menschen gelangten 2023 über westliche Routen, auch über die Kanaren, in die EU. Auf den griechischen Inseln gab es ein Plus von 57 Prozent.
Gleichzeitig häufen sich Berichte über brutales Vorgehen nordafrikanischer Behörden gegenüber Flüchtlingen. So werden laut einer BR-Recherche Migranten in Tunesien systematisch in der Wüste ausgesetzt – von tunesischen Sicherheitskräften. Laut Hilfsorganisation hält die tunesische Küstenwache Flüchtlingsboote gewaltvoll auf. „Wir zahlen Diktatoren Geld und sind davon abhängig, dass diese unwürdige Maßnahmen durchführen und Verbrechen begehen“, kritisiert Marquardt. Dies führe nicht dazu, dass die Menschen nicht mehr kommen, sondern verzögere die Flucht einfach nur. Er fordert: „Wenn die EU die Zahl der Menschen, die nach Europa kommen, ernsthaft kontrollieren und nicht mehr von irgendwelchen Zufällen abhängig sein will, muss sie legale Arbeitsmigration unterstützen.“ Bislang scheint vor allem Meloni von Abkommen zu profitieren.