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Glückskind Harris braucht jetzt Inhalte

von Redaktion

US-Wahlkampf

Wenn es so etwas wie ein politisches Glückskind gibt, dann hat Kamala Harris diese Bezeichnung verdient. Erinnern wir uns: Bei den Vorwahlen 2020, bei denen sich Joe Biden bei den Demokraten durchsetzte, wollte die Partei partout nichts von ihr wissen – und Harris legte ihre Präsidentschaftskandidatur noch vor der ersten Abstimmung zu den Akten. Dennoch wählte Biden sie später als Vize aus, weil er seiner Basis eine Frau und eine Farbige versprochen hatte. Das war der erste Glücksfall. Der zweite Glücksfall: Als immer deutlicher wurde, dass Biden einer zweiten Amtszeit nicht gewachsen sein würde und die Gefahr einer Niederlage gegen Donald Trump immer größer wurde, einigte sich die Partei schnell auf Harris als neues Aushängeschild – auch, weil die Zeit bis zum November-Wahltag weglief.

Mit ihrer überraschend patriotischen Rede wurde Harris nun ganz offiziell zur Spitzenkandidatin und bleibt doch angreifbar. Denn sie wird immer wieder eine Frage hören: Wenn die letzten knapp vier Jahre die Biden/Harris-Regierung angeblich so viel Gutes geleistet hat – warum will sie dann von Tag eins an im Weißen Haus vieles anders machen? Die Partei und Harris könnten deshalb in den nächsten Wochen entscheiden, sich noch deutlicher als bisher von der Politik Bidens zu distanzieren und zu argumentieren: Die Tagespolitik wurde im „Oval Office“ und nicht von Harris bestimmt, die keinerlei Einfluss auf die meisten Entscheidungen gehabt habe. Und: Vieles würde sie aus heutiger Sicht anders als Biden machen. So viel Ehrlichkeit könnte durchaus beim Wahlvolk ankommen.

Nach nahezu vier Jahren im Amt können die Demokraten jedenfalls nicht mehr glaubwürdig für jede Misere Trump verantwortlich machen. Stattdessen ist die Partei gefragt, ein politisches Gesamtkonzept vorzulegen, um die knapp drei Monate bis zur Wahl mit Inhalten zu füllen. Der Parteitag war in dieser Hinsicht noch seltsam blutleer. Politik@ovb.net

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