Darauf muss man erst mal kommen. Der Telegram-Chef Pawel Durow befand sich erst wenige Stunden in französischer Haft, als die russische Botschaft bereits protestierte. Die diplomatische Vertretung jenes Landes also, das seit Jahren durch willkürliche Verhaftungen Verhandlungsmasse aufbaut, um Mörder und Waffenhändler freizupressen. Die krude Argumentation (mangelnde Zusammenarbeit der Behörden) passt immerhin zum Niveau typischer Social-Media-Debatten. Es wird geschimpft, verdreht, Meinung manipuliert.
Telegram ist ein besonders krasses Beispiel für das Versagen der Sozialen Medien im Kampf gegen die Verbreitung krimineller Inhalte, aber ein Einzelfall ist der Dienst nicht. Auch X, die Ruine des einst florierenden Twitter, ist mit der Übernahme durch Elon Musk heruntergekommen zu einem Marktplatz für Lügen und Hassbotschaften. Andere nehmen es mit der Prüfung des Wahrheitsgehaltes ebenfalls nicht genau, weder Tiktok noch Facebook. Unter dem Deckmantel der freien Rede haben Hetzer freie Hand für ihr toxisches Treiben.
Aufgrund seiner Verschlüsselung wird Telegram gerne verklärt als sicherer Hafen für Menschen mit unbequemen Ansichten. Das mag zuweilen stimmen, gerade in Diktaturen. Vor allem aber steht es für all die Gefahren, denen liberale Gesellschaften ausgesetzt sind. Das schleichende Gift der Lüge, die Macht der Algorithmen, die Förderung digitaler Parallelgesellschaften und krimineller Umtriebe. Hier genauer hinzuschauen und durchzugreifen ist längst überfällig gewesen. Marc.Beyer@ovb.net