Die ukrainische Strategie, den russischen Aggressor auf dessen eigenem Gebiet zu attackieren, ist auch ein Akt der Verzweiflung: Mit dem Überraschungs-Coup sollte die Kilometer für Kilometer zurückweichende Verteidigung im Donbass entlastet werden. Und es sollte der zunehmend frustrierten ukrainischen Bevölkerung ein Erfolg präsentiert werden, der ihr wieder Mut macht. Das ist gelungen. Aber der Preis dafür könnte hoch sein.
Die Hoffnung, dass ein Handel möglich wird nach dem Motto: „Russland bekommt Kursk zurück, dafür ziehen Moskaus Truppen aus der Ukraine ab“, ist illusorisch – was wohl auch der Regierung in Kiew klar war. Wladimir Putins Psyche erlaubt keine Kompromisse. Der Kreml-Herr sieht sich als Held der Geschichtsbücher, politische Lösungen durch Verhandlungen passen nicht in die historischen Visionen eines Putin. Deshalb war zu erwarten, dass Putin auf die Kursk-Demütigung mit maximaler Eskalation reagieren würde. Wenn er den belarussischen Diktator Lukaschenko dazu drängen kann, sich erstmals aktiv einzumischen, wäre das eine dramatische, gefährliche Wende dieses Krieges. Erneut könnten nun feindliche Truppen ganz nahe an Kiew heranrücken. Die Ukraine wäre in einem Drei-Fronten-Krieg gefangen. Doch auch für Lukaschenko, der von weiten Teilen seines Volks gehasst wird und die unberechenbaren Wagner-Kämpfer im Land hat, wäre der Kriegseintritt riskant: Putin schielt auch auf Belarus. Klaus.Rimpel@ovb.net