Bundeskanzler Olaf Scholz (r.) spricht mit dem CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz im Bundestag vor der Generaldebatte der Haushaltswoche im November 2022. © Michael Kappeler/dpa
München – Nach der tödlichen Messerattacke von Solingen bietet Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) Kanzler Olaf Scholz (SPD) eine gemeinsame Neuausrichtung der Migrationspolitik an – notfalls auch ohne die Ampel-Partner Grüne und FDP. „Wenn wir uns zusammenraufen, Union und SPD, dann brauchen wir weder die FDP noch die Grünen, um entsprechende gesetzliche Änderungen zu vollziehen“, sagte er nach einem einstündigen Treffen mit Scholz in Berlin. Um kurz vor 9 traf Merz am Dienstag im Kanzleramt ein. Bereits Tage zuvor hatte er seine Position schon öffentlich klargemacht: Mit einem „Es reicht!“ forderte er bereits am Sonntag eine Wende in der Migrationspolitik.
Merz‘ Vorschlag vom Alleingang der CDU und SPD kommt der Forderung nach einem Koalitionsbruch gleich. Im Koalitionsvertrag der Ampelpartner von 2021 heißt es, dass die „Koalitionsfraktionen einheitlich“ abstimmen. Das gilt auch für Fragen, die nicht Gegenstand der vereinbarten Politik sind. Wechselnde Mehrheiten sind ausgeschlossen.“ Nur bei ethischen Fragen wird in der Regel vereinbart, den Fraktionszwang aufzuheben. In einer zentralen politischen Frage wie der Migrationspolitik dürften sich Grüne und FDP darauf kaum einlassen.
Zumal sich die FDP kooperationsbereit zeigt. „Die FDP steht für konstruktive Vorschläge und sinnvolle Anpassungen immer zur Verfügung“, sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. Die inhaltlichen Vorschläge von CDU-Chef Friedrich Merz ähnelten denen der FDP sehr. „Wir würden aber noch weiter gehen und beispielsweise Dublin-Flüchtlinge von Sozialleistungen ausschließen“, so Djir-Sarai. Bundesfinanzminister Christian Lindner stimmt zu: „Wer nach europäischem Recht ausreisepflichtig ist, der sollte nur noch die Rückkehrkosten in den zuständigen Staat erhalten“, sagte er der „Stuttgarter Zeitung“. Weitere Sozialleistungen sollten „auf Null reduziert werden“.
Ob die Ampelpartner am Ende mitreden werden, ist offen. Merz bleibt vorerst auf seiner Linie und betont die Richtlinienkompetenz des Kanzlers und dass SPD und Union gemeinsam eine deutliche absolute Mehrheit im Parlament hätten. „Wir wollen nicht Teil der Regierung werden.“ Aber es bestehe dringender Handlungsbedarf ohne Tabus. „Dem Bundeskanzler entgleitet das eigene Land. Er verliert das Vertrauen.“
Etwas, das Scholz offenbar anders sieht, zumindest lässt er sich von Merz‘ Vorstoß nicht von seinem Kurs abschrecken. Im „heute journal“ im ZDF bezog er am Dienstag klar Stellung: „Das Individualrecht auf Asyl bleibt erhalten. Das steht in unserem Grundgesetz. Und das wird niemand mit meiner Unterstützung infrage stellen.“ Scholz räumte aber ein, dass Deutschland bei den Abschiebezahlen „noch lange nicht gut“ da steht. Um irreguläre Migration zu reduzieren, müsse eine enge Kooperation zwischen Bund und Länder, aber auch zwischen Regierung und Opposition stattfinden, so Scholz. Bestehende Kontrollen zu Nachbarländern hätten sich als „sehr effizient“ erwiesen, weswegen er „die Grenzkontrollen so lange wie möglich fortführen“ wolle. Wenngleich dies immer im Rahmen des europäischen Rechts geschehen müsse, doch „das wird uns schon gelingen.“ Die Frage, wann die Ankündigung umgesetzt werde, wieder Straftäter aus Afghanistan und Syrien abzuschieben, beantwortete er nicht konkret. „Wir wollen das, und wir arbeiten auch hart daran“, bekräftigte er aber. „Schwere Straftäter haben ihr Schutzrecht hier verwirkt.“
Auf das Gesprächsangebot des CDU-Chefs ließ Scholz vermerken, dass er von wechselnden Mehrheiten nichts hält. „Die Regierung und die Opposition sind immer gut gehalten, zusammenzuarbeiten“, sagte er, aber „nicht quer durcheinander, sondern miteinander.“
Konkret fordert die Union, abgelehnte Asylbewerber grundsätzlich wieder nach Syrien und Afghanistan abzuschieben. Wer als Flüchtling aus Deutschland in sein Heimatland reist, soll umgehend jeden Aufenthaltsstatus verlieren. Außerdem soll es dauerhafte Kontrollen an den EU-Außengrenzen und mehr Kompetenzen für die Bundespolizei geben. Auch eine „nationale Notlage“ soll ins Spiel kommen, um EU-Recht auszuhebeln und eine Zurückweisung von Migranten zu erreichen.