Ein Neustart in Berlin

von Redaktion

Zwei Sozialdemokraten im Gleichschritt: Der britische Premier Keir Starmer (li.) besucht Kanzler Olaf Scholz in Berlin und verspricht eine neue deutsch-britische Beziehung. © Hirschberger/AFP

München/Berlin – Er ist nicht gerade für seine Überschwänglichkeit bekannt, manche finden ihn langweilig – wie ein Polit-Roboter. Nach über einem Jahrzehnt konservativer Führung ist mit ihm erstmals wieder ein Sozialdemokrat an der Spitze des Landes. Seine Regierung muss ein riesiges Loch im Staatshaushalt stopfen und tödliche Messerattacken stellen das Land vor enorme Herausforderungen. Etwas verkürzt lässt sich so die bisherige Amtszeit des neuen britischen Premierministers Keir Starmer zusammenfassen.

Die Parallelen zu seinem deutschen Amtskollegen Olaf Scholz sind fast schon erschreckend. Genau zu ihm führt einer der ersten Auslandsreisen des Briten. Dahinter steckt allerdings mehr als nur ein Treffen von zwei ähnlichen Sozialdemokraten und einem offiziellen Willkommenheißen mit militärischen Ehren in Berlin.

Der britische Premier will vor allem die hinterlassenen Scherben seiner Vorgänger kitten – oder sie zumindest zusammenkehren. Denn der Brexit hat die Beziehung zur Europäischen Union zerrüttet. Rückgängig machen will Starmer den Brexit aber ausdrücklich nicht, vielmehr will er das Verhältnis zur EU und damit auch zu Deutschland neu ausrichten. „Wir schlagen heute ein neues Kapitel in den britisch-deutschen Beziehungen auf“, verkündet Starmer dann am Mittwoch in Berlin.

Starmer spricht dabei von einer „einmaligen Chance“. Dass ihm viel an einem guten Draht liegt, zeigt schon der Zeitpunkt. Während sein Tory-Vorgänger Rishi Sunak 18 Monate mit seinem Antrittsbesuch in Berlin wartete, richtete der Labour-Chef es in seinen ersten zwei Monaten ein.

Und das scheint sich zu bewähren. Gleich zu Beginn verabredeten die beiden Staatschefs einen Vertrag zur besseren bilateralen Zusammenarbeit. In höchsten Tönen lobt Scholz das Vereinigte Königreich und den Vertrag, den es so noch nie gegeben habe. Anfang nächsten Jahres soll er unterzeichnet werden. Konkret wollen Berlin und London ihre außenpolitische Zusammenarbeit für Frieden und Sicherheit verstärken, inklusive neuem Verteidigungsabkommen. Im Fokus steht dabei vor allem der Ukraine-Krieg.

Deutschland und Großbritannien gehören nach den USA und der EU zu den größten Unterstützern der angegriffenen Ukraine – und dies wollen sie auch bleiben. Beide würden „der Ukraine zur Seite stehen, solange es nötig ist“, sagt Starmer. Seit Beginn des Krieges wurden bereits 45 000 ukrainische Soldaten in Großbritannien ausgebildet, das britische Verteidigungsministerium veröffentlicht außerdem regelmäßig Informationen zum Kriegsverlauf.

An dem pro-ukrainischen, europäischen Kurs will Starmer nicht rütteln. Obwohl die Labour-Regierung gerade von finanziellen Sorgen geplagt wird. Starmer spricht von einem Finanzloch von 22 Milliarden Pfund, umgerechnet 26,5 Milliarden Euro. „Im Oktober wird es einen neuen Haushalt geben, und der wird schmerzhaft sein“, kündigt er am Dienstag an.

Das Ringen um den Haushalt ist Scholz nur zu bekannt. Im deutschen Haushaltsstreit wurde auch um neue Ukraine-Hilfen gestritten. Beim gemeinsamen Auftritt in Berlin bemüht sich der Kanzler, Gerüchte über Kürzungen der Hilfen vom Tisch zu räumen.

Wo die britische Regierung derweil das fehlende Geld auftreiben will, ist bislang unklar. Starmer hatte im Wahlkampf versprochen, die Arbeiterklasse nicht weiter zu belasten, Steuererhöhungen dürften also ausgeschlossen sein.

Klar ist: Für Starmer ist es kein leichter Start. Die erste Bewährungsprobe folgte nur einen Monat nach seinem Amtsantritt, als es im ganzen Land zu rechtsextremen Randalen kam. Auslöser war eine tödliche Messerattacke bei einem Taylor-Swift-Tanzkurs, bei dem drei Mädchen getötet wurden. Falschnachrichten über einen angeblichen Asylstatus des Angreifers verbreiteten sich wie ein Lauffeuer in den Sozialen Medien. Starmer reagierte mit voller Härte auf die Krawalle – 1000 Randalierer wurden festgenommen.

Doch der Graben, der sich durch die britische Gesellschaft zieht, bleibt. Ein Graben, den Stamer versucht, jetzt auch mit internationaler Hilfe zu schließen. So beinhaltet der Vertrag mit Deutschland nicht nur den gemeinsamen Kampf gegen illegale Einwanderung, sondern auch eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit. Damit neue Arbeitsplätze das Wirtschaftswachstum in Großbritannien ankurbeln können.

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